Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag
genau wie ein Mensch. Bitte sehr und wohl bekomm's.» Er verbeugte sich und zog sich an das andere Ende der Bar zurück.
«Ich hab fast Angst, ihn zu trinken», sagte Midori lächelnd, als sie ihr Glas hob und sah, wie das Licht die Flüssigkeit bernsteinfarben tönte.
«Satoh-san hält immer einen kurzen Vortrag über das, was einem gleich den Gaumen kitzelt. Das gefällt mir ja besonders hier. Er ist ein Experte für Single Malts.»
«Jaa, kanpai», sagte sie, und wir stießen an und tranken. Danach schwieg sie einen Moment und sagte dann: «Mensch, ist der gut. Wie eine Liebkosung.»
«Genau wie deine Musik.»
Sie lächelte und gab mir wieder einen sachten Stoß mit der Schulter. «Unser Gespräch neulich im Tsuta hat mir gefallen», sagte sie. «Ich würde gern mehr darüber hören, wie es für dich war, in zwei Welten aufzuwachsen.»
«Ich weiß nicht, ob das eine interessante Geschichte abgibt.»
«Erzähl sie mir, und ich sage dir, ob sie interessant ist.»
Sie sprach nicht gern, war eher der Typ, der zuhörte, was es mir umso schwerer machen würde, ihr operative Informationen zu entlocken. Na, sehen wir einfach mal, was es bringt, dachte ich.
«Ich habe in einer Kleinstadt im Staat New York gewohnt. Meine Mutter ist nach dem Tod meines Vaters mit mir dorthin gezogen, weil sie in der Nähe ihrer Eltern sein wollte», sagte ich.
«Warst du danach noch mal wieder länger in Japan?»
«Ja. Als ich auf der High School war, schrieben die Eltern meines Vaters mir von einem neuen Schüleraustauschprogramm zwischen den USA und Japan. Da ich damals ganz schön Heimweh nach Japan hatte, meldete ich mich gleich dafür an. So kam es, dass ich für ein Schuljahr auf die High School Saitama Gakuen ging.»
«Bloß ein Schuljahr? Wahrscheinlich wollte deine Mutter, dass du zurückkommst.»
«Ein Teil von ihr, ja. Ich denke, ein anderer Teil von ihr war froh, endlich Zeit zu haben, sich auf ihre berufliche Karriere zu konzentrieren. Ich war in dem Alter ziemlich wild.» Das schien mir ein angemessener Euphemismus für ständige Schlägereien und sonstige Disziplinprobleme in der Schule zu sein.
«Wie war das Schuljahr?»
Ich zuckte die Achseln. Einige dieser Erinnerungen waren nicht besonders angenehm. «Du weißt doch, wie es Heimkehrern ergeht. Es ist schon nicht leicht, wenn du ein ganz normales japanisches Kind bist mit einem Akzent, den du dir zugelegt hast, weil du längere Zeit in den USA warst. Wenn du noch dazu Halbamerikaner bist, macht dich das praktisch zum Außenseiter.»
Ich sah tiefes Mitgefühl in ihren Augen, und ich hatte das Gefühl, einen Verrat noch zu verschlimmern. «Ich weiß, wie das ist, als Kind zurückzukehren», sagte sie. «Und du hattest dir das Schuljahr wie eine Heimkehr vorgestellt. Du musst dich ganz fremd gefühlt haben.»
Ich winkte ab, als wäre es nichts. «Das ist alles lange her.»
«Und dann, nach der High School?»
«Nach der High School kam Vietnam.»
«Du warst in Vietnam? Hätte ich nicht gedacht, so jung, wie du aussiehst.»
Ich lächelte. «Ich bin praktisch schon als Teenager zur Armee gegangen, und als ich nach Vietnam kam, war der Krieg voll im Gange.» Mir war bewusst, dass ich ihr mehr persönliche Dinge von mir erzählte, als ratsam war. Es war mir egal.
«Wie lange warst du da?»
«Drei Jahre.»
«Ich dachte, wer damals zum Wehrdienst eingezogen wurde, musste nur ein Jahr bleiben.»
«Stimmt. Ich wurde nicht eingezogen.»
Ihre Augen weiteten sich. «Du hast dich freiwillig gemeldet?»
Es war Ewigkeiten her, dass ich über all das gesprochen oder auch nur daran gedacht hatte. «Ich weiß, im Rückblick klingt das ein bisschen seltsam. Aber ich habe mich freiwillig gemeldet, ja. Ich wollte beweisen, dass ich ein echter Amerikaner war, es all denjenigen zeigen, die wegen meiner Augen, meiner Haut daran zweifelten. Und dann, als ich drüben war, in einem Krieg gegen Asiaten, musste ich es sogar noch mehr beweisen, deshalb blieb ich. Ich hab gefährliche Einsätze übernommen. Ich hab ein paar verrückte Sachen gemacht.»
Wir schwiegen eine Weile. Dann sagte sie: «Darf ich dich was fragen? Sind das die Dinge, die dich ‹verfolgen›, wie du gesagt hast?»
«Einige», erwiderte ich ruhig. Aber weiter würde ich es nicht kommen lassen. Sie mochte ja ihre Regeln haben, wenn es darum ging, Fremde zu ihren Auftritten einzuladen, aber meine Regeln in solchen Dingen sind noch strikter. Wir näherten uns Orten, die selbst ich mir nur indirekt ansehen
Weitere Kostenlose Bücher