Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag
bloß nicht, dass dir etwas zustößt.»
«Siehst du denn nicht, wie das aus meiner Perspektive wirkt? ‹Komm, gib es mir, damit ich dir helfen kann.›»
«Das ist mir klar.»
«Da bin ich mir nicht so sicher.»
«Egal. Erzähl mir von deinem Vater.»
Eine lange Pause trat ein. Ich wusste, was sie sagen würde, und dann sagte sie es. «Deshalb hast du all diese Fragen gestellt. Du bist ins Alfie gekommen und, mein Gott, überhaupt alles ... Du hast mich von Anfang an benutzt.»
«Was du sagst, ist zum Teil richtig. Aber nicht alles. Und jetzt erzähl mir von deinem Vater.»
«Nein.»
Ich spürte, wie die Zornesröte in mir hochstieg. Ganz ruhig, John. « Der Journalist hat auch danach gefragt, nicht wahr? Bulfinch? Was hast du ihm erzählt?»
Sie sah mich an, versuchte abzuschätzen, wie viel ich wusste. «Ich weiß nicht, wovon du redest.»
Ich blickte zur Tür und dachte, geh. Geh einfach.
Aber stattdessen sagte ich: «Midori, hör zu. Ich brauche einfach nur durch die Tür da zu verschwinden. Du bist diejenige, die nicht in ihrer eigenen Wohnung schlafen kann, die Angst hat, zur Polizei zu gehen, die nicht in ihr altes Leben zurückkann. Also überleg dir, ob du mit mir zusammenarbeiten willst, oder sieh zu, wie du allein klarkommst.»
Es verging viel Zeit, vielleicht eine volle Minute. Dann sagte sie: «Bulfinch hat mir erzählt, mein Vater wollte ihm an dem Morgen, als er starb, etwas übergeben, aber Bulfinch hat es nicht bekommen. Er wollte wissen, ob ich es habe oder ob ich weiß, wo es ist.»
«Was war es?»
«Eine Daten-CD. Mehr wollte er mir nicht verraten. Er meinte, wenn er mir mehr erzählte, könnte mich das in Gefahr bringen.»
«Er hat dich schon dadurch in Gefahr gebracht, dass er mit dir gesprochen hat. Jemand ist ihm vom Alfie aus gefolgt.» Ich presste mir die Finger auf die Augen. «Weißt du irgendetwas über die CD?»
«Nein.»
Ich sah sie an, versuchte, sie einzuschätzen. «Ich muss dir ja wohl nicht erst sagen, dass die Leute, die hinter der CD her sind, nicht gerade zimperlich sind, was die Methoden angeht, um sie zu bekommen.»
«Das ist mir klar.»
«Okay, fassen wir zusammen, was wir haben. Alle glauben, dein Vater hätte dir irgendwas erzählt oder irgendwas gegeben. Und? Hat er dir irgendwas erzählt oder hat er dir vielleicht irgendwelche Dokumente gegeben, irgendwas, von dem er gesagt hat, es sei wichtig?»
«Nein. Nicht, dass ich wüsste.»
«Denk nach. Einen Bankfachschlüssel? Einen Schließfachschlüssel? Hat er dir erzählt, dass er irgendwas versteckt hat oder dass er irgendwo wichtige Unterlagen hatte? Irgendwas in der Art?»
«Nein», sagte sie nach einem Moment. «Nichts.»
Ich wusste, dass sie mir vielleicht etwas verschwieg. Sie hatte schließlich keinerlei Grund, mir zu trauen.
«Aber du weißt etwas», sagte ich. «Sonst würdest du nämlich zur Polizei gehen.»
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich an.
«Herrgott, Midori, sag es mir. Lass mich dir helfen.»
«Es ist aber nicht das, was du dir erhoffst», sagte sie.
«Ich erhoffe mir gar nichts. Sag einfach, was du weißt.»
Wieder schwieg sie lange. Dann sagte sie: «Ich hab dir ja erzählt, dass mein Vater und ich lange Zeit ... ein ziemlich distanziertes Verhältnis zueinander hatten. Das fing an, als ich Teenager war, als ich das politische System Japans allmählich durchschaute und auch die Rolle meines Vaters darin.»
Sie stand auf und begann, im Zimmer umherzugehen, ohne mich anzusehen. «Er war Teil des liberaldemokratischen Parteiapparates und arbeitete sich die Karriereleiter im alten Kensetsusho, dem Bauministerium, hoch. Als das Kensetsusho zum Kokudokotsusho wurde, machte man ihn zum stellvertretenden Minister für Land und Infrastruktur – für die Vergabe öffentlicher Aufträge. Weißt du, was das in Japan bedeutet?»
«Ein wenig. Über öffentliche Aufträge wird Geld von den Politikern und Baufirmen an die Yakuza weitergeleitet.»
«Und im Gegenzug sorgt die Yakuza für ‹Schutz›, löst Streitigkeiten und lässt ihren Einfluss zugunsten der Baubranche spielen. Die großen Bauunternehmen und die Yakuza sind wie Zwillinge, die nach der Geburt getrennt wurden. Wusstest du, dass Bautrupps in Japan Gumi genannt werden?»
Gumi bedeutet «Gang» oder «Organisation» – derselbe Ausdruck, mit dem die Yakuza- Gangs sich selbst bezeichnen. Ursprünglich waren Gumi Gruppen von Männern, die durch den Zweiten Weltkrieg heimatlos geworden waren; sie
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