Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag
Wohnung. Wird schwer, ihn zu überrumpeln, wenn er reinkommt.»
Eine andere Stimme, ebenfalls auf Japanisch: «Warte hier, wo der Genkan ist. Und wenn er reinkommt, setz das Pfefferspray ein.»
Die Stimme kannte ich, aber ich brauchte einen Moment, um sie einzuordnen – ich war nämlich gewohnt, sie auf Englisch zu hören.
Benny.
«Und wenn er nicht redet?»
«Er wird reden.»
Ich umklammerte den Hörer. Benny, dieses Arschloch. Wie hatte er mich aufgespürt?
Wann war die Nachricht aufgenommen worden? Wo war der Knopf für die Sonderfunktionen ... Gottverflucht, ich hätte das längst schon ein paarmal üben sollen, bevor es wirklich drauf ankam. Ich war bequem geworden. Ich drückte die Sechs. Die Nachricht wurde schneller abgespielt. Mist. Ich versuchte es mit der Fünf. Die blecherne Frau teilte mir mit, dass die Nachricht um 14:00 hinterlassen worden war. Das war die kalifornische Uhrzeit, was bedeutete, dass sie gegen 7:00 heute Morgen in meine Wohnung eingedrungen waren, vor etwa einer Stunde.
Also gut, neuer Plan. Ich speicherte die Nachricht, legte auf und rief Midori auf ihrem Handy an. Ich erklärte ihr, dass ich etwas Wichtiges herausgefunden hätte und ihr später, wenn ich wiederkam, alles erzählen würde, dass sie unbedingt auf mich warten solle, auch wenn es spät werde. Dann fuhr ich zurück nach Sugamo, einst berüchtigt wegen eines Gefängnisses, in dem die amerikanische Besatzungsmacht japanische Kriegsverbrecher eingesperrt hatte, heute berühmt für seinen Rotlichtbezirk und die dazugehörigen Love Hotels.
Ich entschied mich für ein Hotel, das möglichst nah an Sengoku lag. Ich bekam ein feuchtkaltes Zimmer. Es war mir egal. Ich brauchte nur einen Festnetzanschluss, damit ich mir keine Sorgen machen musste, dass mein Handy-Akku leer wurde, und einen Platz, wo ich warten konnte.
Ich rief in meiner Wohnung an. Das Telefon klingelte nicht, aber als die Verbindung hergestellt war, aktivierte ich den Lautsprecher. Ich setzte mich hin, lauschte und wartete, aber nach einer halben Stunde war noch immer kein Geräusch zu hören, und ich fragte mich schon, ob sie wieder gegangen waren. Dann hörte ich, wie ein Stuhl über den Holzboden schabte, Schritte und das unverkennbare Geräusch eines Mannes, der in die Toilette uriniert. Sie waren noch da.
Ich saß den ganzen Tag da und lauschte auf nichts. Mein einziger Trost war, dass sie sich bestimmt genauso langweilten wie ich. Ich hoffte, sie waren auch genauso hungrig.
Gegen halb sieben, als ich gerade ein paar Judo-Dehnübungen machte, um meine Muskeln aufzulockern, hörte ich am anderen Ende ein Telefon klingeln. Klang wie ein Handy. Benny meldete sich, brummte ein paarmal, sagte dann: «Ich muss in Shibakoen was erledigen – dauert höchstens ein paar Stunden.»
Ich hörte seinen Kumpel antworten: « Hai», aber ich hörte schon gar nicht mehr richtig hin. Wenn Benny nach Shibakoen wollte, dann würde er von der U-Bahn-Station Sengoku aus mit der Mita-Linie fahren. Er wäre wohl kaum mit dem Wagen da; öffentliche Verkehrsmittel sind unauffällig, und in Sengoku gibt es für Nichtanwohner sowieso keine Parkplätze. Um von meiner Wohnung zur U-Bahn zu kommen, konnte er mehr oder weniger wahllos aus mehreren parallelen und rechtwinkligen Straßen auswählen – einer der Gründe, warum ich ursprünglich da hingezogen war. Die U-Bahn-Station war zu belebt, dort konnte ich ihn auf keinen Fall abfangen. Außerdem wusste ich nicht mal, wie er aussah. Ich musste ihn beim Verlassen der Wohnung erwischen, sonst würde ich ihn verlieren.
Ich stürzte aus dem Zimmer und sprang die Treppe hinunter. Als ich auf dem Bürgersteig war, überquerte ich im Laufschritt die Hakusan-dori und bog dann links in die Hauptverkehrsader ein, die zu meiner Wohnung führte. Ich rannte, so schnell ich konnte, hielt mich aber möglichst dicht an den Häusern – falls mein Timing falsch war und Benny im falschen Augenblick auftauchte, würde er sehen, wie ich angelaufen kam. Er wusste, wo ich wohnte, und ich konnte nicht mehr sicher sein, ob er nicht vielleicht auch schon mein Gesicht kannte. Als ich gut fünfzehn Meter von meiner Straße entfernt war, ging ich im Schritttempo weiter, dicht an der Grundstücksmauer eines Hauses, und schöpfte Atem. An der Ecke kauerte ich mich hin, schob vorsichtig den Kopf vor und spähte nach rechts. Keine Spur von Benny. Seit ich das Telefon aufgelegt hatte, waren noch keine vier Minuten vergangen. Ich war mir ziemlich sicher, dass
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