Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag
gutmachen wolle, dass er es schon viel früher habe tun wollen, aber ein Feigling gewesen sei, weil er wusste, dass man ihn töten würde, wenn er es versuchte. Er hat auch gesagt, dass er Angst um mich habe, dass die Leute, mit denen er zu tun habe, nicht davor zurückschrecken würden, den Angehörigen etwas anzutun, um Druck auszuüben. Er plane, etwas zu tun, etwas, das einiges in Ordnung bringen würde, hat er gesagt, aber es könne sein, dass er mich damit in Gefahr bringe.»
«Was hatte er denn vor?»
«Ich weiß es nicht. Aber ich hab ihm gesagt, ich könne mich nicht damit abfinden, in den Fängen eines korrupten Systems zu stecken, und dass er, damit wir uns versöhnen könnten, ohne Rücksicht auf mich handeln müsse.»
Ich nickte. «Das war sehr mutig von dir.»
Sie sah mich an, jetzt wieder ganz beherrscht. «Eigentlich nicht. Vergiss nicht, ich bin eine Radikale.»
«Gut, wir wissen, dass er mit dem Journalisten geredet hat, diesem Bulfinch, und dass er ihm eine CD übergeben wollte. Wir müssen herausfinden, was darauf war.»
«Wie?»
«Ich denke, indem wir Kontakt zu Bulfinch aufnehmen.»
«Und ihm was sagen?»
«Den Teil hab ich mir noch nicht überlegt.»
Wir schwiegen einen Moment, und ich spürte, wie die Müdigkeit mich überkam.
«Wir sollten etwas schlafen», sagte ich. «Ich nehme die Couch, in Ordnung? Morgen reden wir weiter. Dann sieht alles bestimmt klarer aus.»
Noch dunkler konnte es wohl kaum noch werden.
12
AM NÄCHSTEN MORGEN stand ich früh auf und ging direkt zum Bahnhof Shibuya. Ich hatte Midori gesagt, dass ich sie auf ihrem Handy anrufen würde, nachdem ich einige Sachen abgeholt hatte, die ich brauchte. In meiner Wohnung in Sengoku hatte ich in einem Versteck einige Dinge deponiert, darunter auch einen gefälschten Pass – für den Fall, dass ich das Land schnell verlassen musste. Ich schärfte ihr ein, nur nach draußen zu gehen, wenn es unbedingt erforderlich war – schließlich brauchte sie ja etwas zu essen und Kleidung zum Wechseln -, und auf keinen Fall mit Kreditkarte zu bezahlen. Ich sagte ihr auch, dass wir, falls jemand ihre Handynummer hatte, unsere Gespräche so kurz wie möglich halten mussten, weil davon auszugehen war, dass wir belauscht wurden.
Ich fuhr mit der Yamanote-Bahn nach Ikebukuro, einem belebten, anonymen Einkaufs- und Vergnügungsviertel im Nordwesten der Stadt, stieg dort am Bahnhof in ein Taxi und ließ mich nach Hakusan bringen, einer Wohngegend etwa zehn Minuten zu Fuß von meiner Wohnung entfernt. Sobald ich ausgestiegen war, rief ich die Mailbox des Telefons in meiner Wohnung an.
Das Telefon hat einige besondere Funktionen. So kann ich beispielsweise jederzeit von überall anrufen und geräuschlos den Lautsprecher des Apparates aktivieren, der sich dann praktisch in ein Mikrofon verwandelt. Überdies ist das Gerät klangaktivierbar: Falls es in dem Raum ein Geräusch gibt, zum Beispiel eine menschliche Stimme, wird die Senderfunktion aktiviert und eine Mailbox angerufen, die ich in den Staaten eingerichtet habe, wo derlei Dinge dank des Konkurrenzkampfes unter den Telekommunikationsanbietern noch einigermaßen erschwinglich sind. Bevor ich nach Hause gehe, rufe ich stets diese Mailbox an. So erfahre ich, ob jemand in meiner Abwesenheit in der Wohnung war.
In Wahrheit ist das Telefon vermutlich überflüssig. Es war noch nie jemand unangekündigt in meiner Wohnung, und darüber hinaus weiß keine Menschenseele, wo ich wohne. Ich bezahle ein Sechs-Matten-Apartment in Ochanomizu, aber dort bin ich nie. Die Wohnung in Sengoku ist unter einem Firmennamen angemietet, der keinerlei Verbindung zu mir hat. In meiner Branche sollte man immer die ein oder andere Identität in der Hinterhand haben.
Ich sah die Straße hinauf und hinunter und lauschte den Piepstönen, während der Anruf sich unter dem Pazifik hindurchschlängelte. Als die Verbindung hergestellt war, tippte ich meine Codenummer ein.
Wie immer, wenn ich die Mailbox anrief, außer bei meinen routinemäßigen Überprüfungen des Systems, rechnete ich auch diesmal damit, dass eine blecherne Frauenstimme sagte: «Sie haben keine Anrufe.»
Stattdessen lautete die Nachricht: «Sie haben einen Anruf.»
Verdammt. Ich war so erschrocken, dass ich nicht mehr wusste, welchen Knopf ich drücken musste, um die Nachricht abzuhören, aber die blecherne Stimme half mir weiter. Mit angehaltenem Atem drückte ich die EINS-Taste.
Ich hörte eine Männerstimme Japanisch sprechen. «Kleine
Weitere Kostenlose Bücher