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Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag

Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag

Titel: Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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arbeiteten für einen Bandenchef und nahmen jede Drecksarbeit an, um zu überleben. Schließlich nahm das Wort dann die heutige Bedeutung an: Yakuza-Gang und Bautrupp.
    «Ich weiß», sagte ich.
    «Dann weißt du auch, dass die Baufirmen sich richtige Kämpfe lieferten, die so schlimm wurden, dass die Polizei Angst hatte einzuschreiten. Um diese Auseinandersetzungen zu beenden, wurde ein System zur Manipulation von Ausschreibungen entwickelt. Dieses System gibt es immer noch. Und mein Vater hat es geleitet.»
    Sie lachte. «Weißt du noch, als 1994 in Osaka der Kansai International Airport gebaut wurde? Der Flughafen hat vierzehn Milliarden Dollar gekostet, und jeder wollte ein Stück von dem Kuchen. Weißt du noch, dass Takumi Masaru, der Yakuza-Boss der Yamaguchi Gumi, in dem Jahr ermordet wurde? Der Grund war, dass er nicht genug von den Profiten aus dem Flughafenbau abgeben wollte. Mein Vater hat seinen Tod in Auftrag gegeben, um die anderen Gang-Bosse zu beschwichtigen.»
    «Mein Gott, Midori», sagte ich leise. «Das hat dir dein Vater erzählt?»
    «Als er erfuhr, dass er nicht mehr lange zu leben hatte. Er musste es jemandem beichten.»
    Ich wartete, dass sie weiterredete.
    «Die Yakuza mit den Tätowierungen und dunklen Sonnenbrillen, die man in den üblen Gegenden von Shinjuku sieht, die sind bloß Werkzeuge für Menschen wie meinen Vater», sagte sie und ging weiter langsam hin und her. «Diese Leute sind Teil des Systems. Die Politiker beschließen sinnlose Bauprojekte, damit die Baufirmen Arbeit haben. Die Baufirmen stellen den Politikern dafür in Wahlkampfzeiten Firmenpersonal als ‹Freiwillige› zur Verfügung. Funktionäre aus dem Bauministerium bekommen nach der Pensionierung ‹Berater›-Jobs bei den Baufirmen – bloß einen Wagen mit Fahrer und andere Vergünstigungen, aber keine Arbeit. Jedes Jahr, wenn der Haushalt geplant wird, treffen sich Vertreter aus dem Finanzministerium und dem Bauministerium mit Politikern, die der Bauindustrie gegenüber loyal sind, und legen fest, wie der Kuchen aufgeteilt wird.» Sie blieb stehen und sah mich an. «Weißt du, dass Japan nur vier Prozent der Fläche und die Hälfte der Bevölkerung von Amerika hat, aber ein Drittel mehr für öffentliche Bauprojekte ausgibt? Man schätzt, dass in den letzten zehn Jahren zehn Billionen Yen aus dem Staatshaushalt durch öffentliche Aufträge an die Yakuza geflossen sind.»
    Zehn Billionen?, dachte ich. Das sind zirka einhundert Milliarden Dollar. Die Scheißkerle haben dich ausgenutzt.
    «Einiges davon wusste ich, klar», erwiderte ich. «Und dein Vater wollte die Sache hochgehen lassen?»
    «Ja. Als er erfuhr, wie krank er ist, hat er mich angerufen. Wir hatten seit über einem Jahr kein Wort mehr miteinander geredet. Er sagte, er müsse mit mir etwas Wichtiges besprechen, und er kam in meine Wohnung. Wir hatten so lange keinen Kontakt mehr gehabt, ich dachte, es wäre etwas mit seiner Gesundheit, seinem Herzen. Er sah älter aus, und ich wusste, dass ich richtig vermutet hatte oder beinahe.
    Ich habe uns einen Tee gekocht, und wir setzten uns einander gegenüber an den kleinen Tisch in meiner Küche. Ich habe ihm von der Musik erzählt, an der ich gerade arbeitete, aber natürlich konnte ich ihn nicht nach seiner Arbeit fragen, und wir hatten praktisch nichts, worüber wir reden konnten. Schließlich sagte ich: ‹Papa, was ist los?›
    ‹Taishita koto jaa nai›, erwiderte er. ‹Nichts Besonderes.› Dann sah er mich an und lächelte, seine Augen waren warm, aber traurig, und einen Augenblick lang sah er für mich wieder so aus wie damals, als ich noch ein kleines Mädchen war. ‹Ich habe diese Woche erfahren, dass ich nicht mehr lange leben werde›, sagte er zu mir, ‹nur noch sehr kurz. Einen Monat, vielleicht zwei. Etwas länger, wenn ich mich einer Strahlenbehandlung und Chemotherapie unterziehe, was ich nicht tun werde. Seltsamerweise hat es mir nicht viel ausgemacht, als ich die Nachricht erhielt, ich war nicht einmal sehr überrascht.› Dann traten ihm Tränen in die Augen, was ich bei ihm noch nie erlebt hatte. Er sagte: ‹Was mir etwas ausgemacht hat, war nicht der Gedanke, mein Leben zu verlieren, sondern das Wissen, dass ich meine Tochter schon längst verloren habe.›»
    Mit einer raschen, sparsamen Bewegung wischte sie sich zunächst über ein Auge, dann über das andere. «Er hat mir erzählt, woran er alles beteiligt gewesen war, was er alles getan hatte. Er hat gesagt, dass er es wieder

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