Tokio Killer - 02 - Die Rache
der Südseite der Roppongi-dori fahren. Ich lächelte.
«Tantra?», fragte ich.
Sie sah mich an, vielleicht ein bisschen perplex. «Du kennst es?»
«Das gibt’s schon lange. Guter Laden.»
«Ich hätte nicht gedacht, dass du es kennst. Du siehst ein bisschen zu … alt dafür aus.»
Ich lachte. Falls sie mich ärgern wollte, so war ihr das gründlich misslungen. Mein Alter war mir völlig egal, und das würde auch immer so sein. Die meisten Menschen, die ich in jüngeren Jahren kannte, waren bereits tot. Dass ich überhaupt noch atmete, war für mich ein guter Grund, stolz zu sein.
«Das Tantra ist wie Sex», erklärte ich mit einem leicht nachsichtigen Lächeln. «Jede Generation bildet sich ein, sie habe es entdeckt.»
Sie schaute weg, und wir fuhren stumm weiter. Mir wäre lieber gewesen, das Taxi hätte uns gemäß meiner üblichen Praxis ein Stück entfernt vom Tantra abgesetzt, statt direkt davor. Doch in Anbetracht dessen, wie der Abend alles in allem gelaufen war, hielt ich die Wahrscheinlichkeit, dass Naomis mangelndes Sicherheitsempfinden ein Problem werden könnte, für relativ gering.
Wenige Minuten später hielten wir vor einem unauffälligen Bürogebäude. Ich bezahlte den Fahrer, und wir stiegen aus. Der Regen hatte aufgehört, aber die Straßen waren leer, wirkten verlassen. Hätte ich nicht gewusst, wo wir waren, hätte ich es ziemlich merkwürdig gefunden, hier mitten in der Nacht aus einem Taxi zu steigen.
Hinter uns leuchtete ein dämmriges «T» über einer Kellertreppe, das einzige sichtbare Zeichen für die Existenz des Tantra. Wir gingen die Treppe hinunter, durch eine imposante Doppeltür aus Metall und hinein in ein von Kerzen erhelltes Foyer, das wie ein kurzer Tunnel in die eigentliche Bar führte.
Ein Kellner erschien und fragte uns mit gedämpfter Stimme, ob wir nur zu zweit wären. Naomi bejahte, und er führte uns hinein.
Die Wände waren aus braunem Zement, die Decke schwarz. Es gab ein paar Spotlights, doch überwiegend bestand die Beleuchtung aus Kerzen auf den Tischen und in den Ecken des lackierten Zementbodens. In vereinzelten Nischen standen Statuen, die Szenen aus dem Kamasutra darstellten. Mehrere kleine Grüppchen von Gästen saßen entweder auf Bodenkissen oder in niedrigen Sesseln. Stimmengemurmel und leises Lachen erfüllte den Raum. Aus unsichtbaren Lautsprechern drang leise eine arabisch klingende Musik.
Wie ich wusste, gab es im hinteren Bereich zwei weitere Räume, beide halb hinter schweren Purpurvorhängen versteckt. Ich fragte den Kellner, ob einer davon frei sei, und er deutete auf den rechten. Ich sah Naomi an, sie nickte.
Wir gingen durch den Vorhang in das Zimmer, das eher wie ein kleines Gewölbe oder eine Opiumhöhle anmutete. Die Decke war niedrig, und Kerzen warfen tanzende Schatten an die Wände. Wir setzten uns auf die Bodenkissen in der Ecke, im rechten Winkel zueinander. Der Kellner reichte uns die Karte und verschwand ohne ein Wort.
«Hungrig?», fragte ich.
«Ja.»
«Ich auch.» Ich rieb mir die nassen Schultern. «Und kalt.»
Der Kellner kam zurück. Wir bestellten heißen Tee, Frühlingsrollen und Ayu-Chips, für die das Tantra berühmt war. Naomi entschied sich für einen zwölf Jahre alten Highland Park, ich ebenso.
«Woher kennst du das Tantra denn nun wirklich?», fragte Naomi, als der Kellner gegangen war.
«Hab ich doch schon gesagt. Das gibt es schon ewig. Zehn Jahre, mindestens.»
«Dann wohnst du also in Tokio.»
Ich zögerte. «Ich habe hier gewohnt. Bis vor kurzem.»
«Wieso bist du wieder in der Stadt?»
«Ich habe einen Freund. Er hat Schwierigkeiten mit Leuten von deinem Club und weiß es nicht mal.»
«Was für Schwierigkeiten?»
«Das versuche ich ja herauszufinden.»
«Warum hast du mir diesen Schwachsinn erzählt, du seist Wirtschaftsprüfer? »
Ich zuckte die Achseln. «Ich wollte Informationen bekommen. Ich hielt es für unnötig, dir besonders viel zu erzählen.»
Wir schwiegen eine Weile. Der Kellner kam mit dem Essen und den Getränken. Ich trank zuerst den Tee. Er wärmte mich einigermaßen auf. Der Highland Park tat dann ein Übriges.
«Das habe ich gebraucht», sagte ich, lehnte mich an die Wand und genoss die Wärme in meinem Bauch.
Sie nahm eine Frühlingsrolle. «Warst du wirklich schon mal in Brasilien?», erkundigte sie sich.
«Ja.» Das war gelogen, aber vielleicht ja die moralische Entsprechung zur Wahrheit. Ich konnte ihr wohl kaum erzählen, dass ich so viel wie möglich über
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