Tokio Killer - 02 - Die Rache
verschwand dann auf die Aoyama-dori.
Es war kurz nach ein Uhr morgens. Der Club schloss um drei. Irgendwann danach würde sich Naomi auf den Nachhauseweg machen.
Ich hatte sie per Computer überprüft und wusste, wo sie wohnte. Im Lion’s Gate Building, Azabujuban 3-chome.
Es fuhren schon keine Bahnen mehr. Ich glaubte nicht, dass sie ein Auto hatte: In der Innenstadt ein Auto zu haben ist zu teuer, und mit der Bahn kommt man sowieso überall hin. Sie würde bestimmt mit dem Taxi nach Hause fahren.
Ich nahm ein Taxi zur U-Bahn-Station Azabujuban und ging dann herum, bis ich ihr Haus gefunden hatte. Eins von den üblichen Apartmenthäusern gehobener Preisklasse, dunkler Stahlbeton, neu und schick. Einfacher Haupteingang mit Doppelglastüren, elektronisch gesteuert. Überwachungskameras an der Decke direkt hinter der Glasscheibe.
Das Haus lag an der Ecke einer Einbahnstraße. Ich ging zur Hinterseite und entdeckte einen zweiten Eingang, der kleiner und diskreter war als der erste und wahrscheinlich nur von den Hausbewohnern benutzt wurde. Hier war keine Kamera zu sehen.
Der zweite Zugang verkomplizierte die Lage ein wenig. Wie in Azabujuban üblich, waren hier sämtliche Straßen nur in eine Richtung befahrbar. Wenn Naomi vom Damask Rose kam, würde das Taxi zuerst den zweiten Eingang passieren. Höchstwahrscheinlich würde sie hier aussteigen. Und selbst wenn das Taxi bis zum Haupteingang weiterfuhr, hätte ich noch genug Zeit, um das Gebäude herumzulaufen und sie abzufangen, ehe sie hineinging.
Okay. Ich sah mich nach dem richtigen Standort um. Wenn ich jemanden abfangen will, haben für mich normalerweise Unauffälligkeit und Überraschungsmoment höchste Priorität. Aber das gilt nur, wenn ich ihn ausschalten will. Hier wollte ich nur reden. Wenn ich ihr zu viel Angst einjagte, würde sie sich zu ausgeliefert fühlen, einfach ins Haus rennen, und mein schöner Plan wäre gescheitert.
Es gab eine Seitenstraße, die im rechten Winkel auf die Stelle zuführte, wo ich stand, und knapp seitlich des zweiten Eingangs endete. Ich ging ein paar Schritte die Straße hinauf. Ein Gebäude auf der linken Seite hatte ein Vordach, unter dem etliche große Müllcontainer aus Plastik standen. Dort konnte ich in Ruhe abwarten, und selbst wenn jemand direkt vor mir vorbeispazierte, würde er mich wohl kaum bemerken.
Ich sah auf die Uhr. Fast zwei. Ich schlug die Zeit tot, indem ich ein bisschen die Gegend erkundete. Um drei würde hier kein Mensch mehr unterwegs sein.
Ich dachte darüber nach, was ich im Laufe des Abends im Club erfahren hatte. Ich wusste von Tatsu, dass Yamaotos Netzwerk aus gefügigen Politikern auf Erpressung und Nötigung basierte. Tatsu hatte mir erzählt, dass auf der Daten-CD, die Midoris Vater Yamaoto entwendet hatte, unter anderem Videoaufnahmen von Politikern in kompromittierenden Situationen gespeichert waren. Tatsu hatte mir auch gesagt, dass es eine Verbindung zwischen Yamaoto und Murakami gab. Es war daher anzunehmen, dass Yamaoto unter anderem das Damask Rose benutzte, um Politiker bei peinlichen Handlungen heimlich zu filmen.
Was bedeutete, dass irgendjemand in Yamaotos Netzwerk jetzt mein Gesicht auf Video hatte. Das wäre schon unter normalen Umständen schlimm gewesen. Aber Murakamis neues Interesse machte die Sache noch schlimmer. Ich hielt es für wahrscheinlich, dass Murakami die Aufnahmen irgendjemandem vorführen würde, um meinen Background genauer zu überprüfen. Vielleicht zeigte er sie sogar Yamaoto, der mein Gesicht kannte. Und ich hatte den Namen des Gewichthebers benutzt, um mir Zugang zu Murakamis Dojo zu verschaffen. Falls sie herausfanden, mit wem sie es in Wirklichkeit zu tun hatten, würden sie sich auch denken können, dass der «Unfall» des Gewichthebers gar keiner gewesen war.
Ich versuchte, die restlichen Puzzleteile zusammenzusetzen. Yukiko, also irgendjemand Höheres im Damask Rose, vielleicht Yamaoto, versuchte, Harry in die Finger zu bekommen. Wenn sie sich für Harry interessierten, dann nur, weil Harry sie zu mir führen könnte.
Und die CIA? Sie hatte Harry verfolgen lassen. Laut Kanezaki nur, weil er eine Spur zu mir war. Die Frage war, ob Yamaoto und die CIA auf irgendeine Weise zusammenarbeiteten oder ob sich lediglich ihre Interessen deckten. Falls Ersteres der Fall war, wie sah dann diese Verbindung genau aus? Falls Letzteres zutraf, welcher Art waren dann ihre Interessen?
Naomi wäre vielleicht in der Lage, mir diese Fragen zu beantworten, wenn
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