Tokio Killer - 02 - Die Rache
bald aufgehen.
«Wir sollten jetzt gehen», sagte ich.
Sie nickte. Ich bezahlte die Rechnung, und wir gingen.
Draußen war die Luft feucht, aber es regnete nicht. Die Straßenlampen auf der Roppongi-dori erzeugten leuchtende Kegel. Es war so spät, wie es nur sein kann, ohne schon wieder früh zu werden, und die Straßen lagen für eine kurze Weile ganz still.
«Bringst du mich nach Hause?», fragte sie und sah mich an.
Ich nickte. «Klar.»
Auf halber Strecke des zwanzigminütigen Fußweges fing es wieder an zu regnen.
«Droga!», fluchte sie auf Portugiesisch. «Ich hab den Regenschirm im Tantra vergessen.»
«Shoganai», sagte ich und schlug den Jackettkragen hoch. Da kann man nichts machen.
Wir gingen schneller. Der Regen wurde heftiger. Ich fuhr mir mit den Fingern durchs Haar und spürte kleine Rinnsale in den Nacken laufen.
Als wir noch etwa fünfhundert Meter vor uns hatten, krachte ein gewaltiger Donnerschlag, und es begann richtig zu schütten.
«Que, merda!», rief sie lachend. «Wir sind verloren!»
Wir rannten los, aber es war hoffnungslos. Wir erreichten ihr Wohnhaus und duckten uns unter das Vordach des Hintereingangs. «Meu deus», sagte sie lachend, «so nass war ich schon lange nicht mehr!» Sie knöpfte ihren tropfenden Mantel auf, sah mich dann an und lächelte. «Wenn man klatschnass ist, ist es eigentlich wieder ganz angenehm.»
Dampf stieg in dünnen Fahnen von ihrem feuchten Kleid auf. «Du kochst», bemerkte ich.
Sie blickte nach unten, dann wieder mich an. Sie strich sich ein paar nasse Haarsträhnen aus dem Gesicht. «Vom Laufen ist mir ganz warm geworden», sagte sie.
Ich wischte mir Wasser aus dem Gesicht und dachte, Zeit zu gehen.
Aber ich blieb.
«Danke für den interessanten Abend», sagte sie nach kurzem Zögern. «Für einen Stalker bist du gar nicht so übel.»
Ich lächelte schwach. «Das krieg ich dauernd zu hören.»
Verlegenes Schweigen trat ein. Dann machte sie einen Schritt auf mich zu und umarmte mich, ihr Gesicht an meiner Schulter.
Ich war überrascht. Meine Arme legten sich automatisch um sie.
Nur ein bisschen Trost, dachte ich. Du warst vorhin ziemlich hart zu ihr. Gib ihr ein besseres Gefühl mit auf den Weg.
Mir war halb bewusst, dass ich mir da etwas einredete. Und das beunruhigte mich ein wenig. Normalerweise habe ich so was nicht nötig.
Ich spürte ihren weichen Körper, ihre Wärme, die mit elektrisierender Deutlichkeit durch unsere nassen Kleider drang.
Mein Körper reagierte prompt. Ich wusste, dass auch sie das spürte. Ach, verdammt.
Sie hob den Kopf von meiner Schulter. Ihr Mund war sehr dicht an meinem Ohr. Ich hörte sie sagen: «Komm mit rein.»
Die letzte Frau, auf die ich mich eingelassen hatte, obwohl ich für sie lediglich ein berufliches Interesse hätte aufbringen dürfen, war Midori gewesen. Den Preis dafür zahlte ich bis heute.
Sei nicht wieder so unvernünftig, dachte ich. Spiel nicht mit dem Feuer. Verwisch nicht die Grenzen.
Aber die Mahnungen gingen ins Leere. Keiner schien hinzuhören.
Sie ist eine Bardame. Du weißt doch gar nicht, oh du ihr trauen kannst.
Das klang wenig überzeugend. Keiner hatte sie auf mich angesetzt – schließlich hatte ich auf sie gewartet. Sie hätte mich nicht vor den Abhörmikros warnen müssen. Mein Instinkt sagte, dass sie mir nichts vormachte.
Sie legte mir eine Hand auf die Brust. «Du warst schon lange nicht mehr … mit jemandem zusammen», sagte sie.
Ich rief mir in Erinnerung, dass das mit ein Grund dafür war, dass ich so lange überlebt hatte.
«Wie kommst du darauf?», fragte ich.
«Ich merke das. An der Art, wie du mich ansiehst.»
Der Druck ihrer Hand wurde stärker. «Ich kann dein Herz spüren», sagte sie.
Ihre Hand auf meinem Herzen, ihre Hüfte an meinem Schritt, sie hätte genauso gut einen Lügendetektor an mir anschließen können.
Ich sah unter dem Vordach hinaus auf die Straße. Der Regen fiel in grauen, schrägen Streifen. Eine Hand von mir legte sich an ihre Wange. Ich schloss die Augen. Ihre Haut war regennass, und ich dachte an Tränen.
Sie hob den Kopf, und ich spürte, wie sich ihr Gesicht an meines schmiegte. Ihr Kopf bewegte sich ganz leicht auf und ab, wie im Rhythmus einer Musik, die ich beinahe hören konnte. Ich hielt die Augen geschlossen und dachte, tu’s nicht, sei vernünftig.
Ich wich ein wenig zurück, und meine nasse Wange glitt über ihre. Aber sie legte mir eine Hand in den Nacken und hielt mich auf.
Ich drehte leicht den Kopf.
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