Tokio Killer 04 - Tödliches Gewissen
Traum war ich wieder ein kleiner Junge, in der Wohnung, in der ich aufgewachsen war, und irgendetwas jagte mich dort von einem Zimmer ins andere. Ich rief nach meinen Eltern, aber niemand kam, und dass ich allein war, machte mir große Angst. Mein Vater hatte ein Katana, ein japanisches Langschwert, das seinem Urgroßvater gehört hatte. Ich lief ins Schlafzimmer meiner Eltern, wo mein Vater das Schwert auf einem kunstvollen Gestell aufbewahrte, und knallte die Tür zu. Als ich das Katana nehmen wollte, lagen da zwei, und ich konnte mich für keins entscheiden. Ich erstarrte. Mein Verstand rief: Nun nimm schon eins! Egal welches!, aber ich konnte mich nicht rühren. Und dann öffnete sich die Tür ...
Ich wachte auf, sprang aus dem Bett und ging sofort in die Hocke. Ich blieb lange Zeit in dieser Stellung, rang nach Luft, spürte, wie der Schweiß auf meinem Körper trocknete, während ich versuchte, den Traum abzuschütteln und mich wieder zu beruhigen. Schließlich richtete ich mich auf, ging zum Klo und nahm noch ein Bad.
Aber danach konnte ich gar nicht mehr schlafen. Ich lag lange im Bett und dachte nach. Es beunruhigte mich, dass ich schon wieder erstarrt war, sogar im Traum. Zwei Schwerter in greifbarer Nähe - ein überreiches Angebot, wenn man in Gefahr ist, möchte man meinen. Und dennoch konnte ich mich für keines von beiden entscheiden. Und wenn ich nicht aufgewacht wäre, hätte mich das, was mich im Traum verfolgt hatte, getötet. Was immer es auch war.
Dox und ich fuhren am nächsten Tag frühzeitig zum Flughafen, um in aller Ruhe eine Gegenaufklärungsroute festzulegen und sie abzuschreiten. Wir benutzten die Funkausrüstung aus Manila. Wenn Dox etwas Verdächtiges entdeckte, konnte er mich aus einiger Entfernung und direkt ins Ohr warnen. Damit hatten wir sehr viel mehr Möglichkeiten, als wenn er mich aus der Ferne ohne Funkkontakt hätte absichern müssen.
In der Ankunftshalle vor dem Ausgang des Zoll- und Gepäckbereichs wimmelte es von Menschen, die auf Ankömmlinge warteten: Familien, Thai oder Ausländer; weißlivrierte Hotelfahrer; Rucksacktouristen, mit fettigen Haaren und in Sandalen, wahrscheinlich um abenteuerlustige Freunde aus Europa und Australien zu begrüßen. Niemand löste meinen Radar aus, aber dafür war das Gewimmel auch zu groß. Falls es Probleme gäbe, dann sähen die vermutlich israelisch aus. Schließlich hatten sich Delilahs Leute auch gerade deshalb an mich gewandt, weil sie keine Leute mit asiatischem Aussehen hatten. Obwohl »keine« natürlich nicht ganz richtig ist: durch den Edelsteinhandel und die illegalen Waffengeschäfte mit Gruppen wie den Tamil Tigers in Sri Lanka hat Israel durchaus Kontakte in Thailand. Aber ich glaubte nicht, dass sie solche Kontakte schnell genug aktivieren konnten, um eventuelle Informationen zu nutzen, die Delilah ihnen geliefert hatte. Das hieß natürlich nicht, dass ich Leute ignorierte, die nicht in das Profil passten, aber es ist immer hilfreich, bestimmte Ausschlusskriterien zu haben.
Ich postierte mich in einiger Entfernung rechts vom Ausgang, wo ich sie gleich sehen konnte, wenn sie herauskam, sie mich jedoch nicht, ohne nach mir Ausschau zu halten. Dox stand ein paar Meter hinter mir, und als ich beiläufig in seine Richtung sah, brauchte ich einen Moment, um ihn zu entdecken. Er hatte wirklich dieses Scharfschützentalent, mit seiner Umgebung zu verschmelzen. Es gab zwei Möglichkeiten: Erstens, sie hatten vorab jemanden in der Ankunftshalle postiert, wo ich Delilah abholen wollte. Zweitens, es war jemand mit ihr in der Maschine gewesen, und der würde ihr folgen müssen, wenn seine Anwesenheit irgendeinen Nutzen haben sollte. Letzteres hielt ich für wahrscheinlicher, und es wäre für mich unproblematischer. Wahrscheinlicher, weil sie, wenn sie wirklich Mangel an asiatisch aussehenden Leuten hatten, so schnell wohl niemanden an Ort und Stelle hatten bringen können; für mich unproblematischer, weil die Person, die Delilah beschattete, ihr nach der Landung dicht auf den Fersen bleiben müsste, und zwar unauffällig, was schwierig werden würde, sobald ich mit Delilah unterwegs war. So oder so, ich machte mir keine allzu großen Sorgen, dass sie schon am Flughafen zuschlagen würden. Bei den Überwachungs-, Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen im ganzen Gebäude wäre es fast unmöglich, so etwas glatt durchzuziehen.
Die Maschine landete zehn Minuten früher, und in der wartenden Menge war nichts Ungewöhnliches
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