Tokio Killer 04 - Tödliches Gewissen
Hoffnung auf die Probe zu stellen, dass Delilah ehrlich zu uns war. Ich hätte gern Dox' schlichtes Vertrauen gehabt.
»Wir werden sehen«, sagte ich nur.
Die Kellnerin kam vorbei, und wir bestellten noch eine Runde. In regelmäßigen Abständen betraten neue Gäste den Club, zu zweit oder grüppchenweise. Es freute mich zu sehen, dass Dox jedes Mal, wenn das geschah, einen prüfenden Blick zur Tür warf. Bei Profis muss das ein rascher, unauffälliger Reflex sein, so unbewusst wie atmen. Man sollte stets wissen, wer dazu kommt, um den Überblick über die Menge zu behalten.
Als ich irgendwann aufschaute, sah ich eine toll aussehende Thai-Frau hereinkommen. Sie trug eine blaugraue Jacquardbluse, ärmellos und mit Mandarinkragen, einen eng sitzenden schwarzen Seidenrock mit einem Schlitz knapp über dem Knie und Riemchenstilettos. Ihr Make-up war tadellos, und das Haar trug sie zu einem adretten Nackenknoten, der ihre perfekte Haltung und ihren selbstbewussten Gang noch unterstrich. Unter jedem Ohr schimmerten Gehänge, die aussahen wie Jade.
Sie setzte sich an die Bar wie eine Königin auf den Thron und sah sich im Club um. Dox stieß mich an und sagte: »Siehst du die Frau, die gerade reingekommen ist?«
Ich nickte, fragte mich, ob ich Dox vielleicht überschätzt hatte. Was ich für einen Kontrollblick gehalten hatte, könnte auch nur exzessive Geilheit sein.
Die Frau sah Dox und lächelte. Er lächelte ebenfalls.
Na toll, dachte ich. Auch das noch.
»Hast du das gesehen, Mann?«, fragte er. »Sie hat mich angelächelt.«
Ich sah ihn an. »Sie ist vermutlich eine Prostituierte, Dox. Sie lächelt jeden an. Vor allem Männer aus dem Westen, von denen sie annimmt, dass sie genug Geld haben, um ihr Ohrringe aus Jade zu kaufen.«
»Partner, mir ist egal, womit sie ihre Brötchen verdient. Kann sein, dass sie ein bisschen freiberuflich arbeitet, wer könnte es ihr verübeln? Das ist auch nicht der Punkt. Der Punkt ist, ich gefalle ihr. Das sehe ich.«
»Ihr gefällt dein Geld.«
»Das vielleicht auch, und vielleicht gebe ich ihr sogar Trinkgeld, um meine Wertschätzung zu zeigen und ihr auch sonst ein bisschen unter die Arme zu greifen. Aber sie würde mich nicht interessieren, wenn sie mich nicht um meinetwillen wollen würde. Wart's ab, du wirst schon sehen.«
Er blickte wieder in ihre Richtung und schenkte ihr ein langes Lächeln. Sie lächelte zurück, sagte dann etwas zu dem Barkeeper und stand auf. Sie kam auf uns zu.
Dox blickte mich an. »Na, was hab ich dir gesagt?«
Die Selbstsicherheit, mit der sie sich so unverhohlen an Dox ranmachte, verriet mir, dass ich mit meinem Verdacht richtig gelegen hatte: Sie war eine Prostituierte. Aber dass sie hier war, kam mir etwas sonderbar vor. Die Edelnutten gingen normalerweise in Tanzclubs und Bars wie das Spasso auf der Grand Hyatt Road auf Kundenfang, nicht in so urtümlichen, ausgefallenen Schuppen wie dem Brown Sugar. Aber vielleicht hatte sie in den Lokalen nebenan einfach kein Glück gehabt und war wegen der Musik reingekommen. Dennoch, meine Wachsamkeit stieg um ein paar Grad an, wie immer, wenn irgendetwas nicht ganz stimmig ist. Ich hatte zwar die ganze Zeit routinemäßig beobachtet, was im Raum vor sich ging, doch jetzt kontrollierte ich vorsichtshalber mit einem Rundumblick, ob sonst noch irgendwas ungewöhnlich war. Alles schien normal.
Die Frau kam an unseren Tisch. Ich blickte auf ihre Hände. Die rechte Hand war leer, in der linken hielt sie ein schwarzes Abendtäschchen, das vermutlich nicht mehr als ein Handy, Lippenstift und Spiegel enthielt. Ich registrierte keine Gefahrensignale. Aber mein Gefühl, dass irgendwas nicht stimmte, hatte sich noch nicht ganz gelegt, und ich blieb auf der Hut.
Sie warf mir einen Blick zu, sah dann Dox an. »Hi«, sagte sie mit einer Stimme, die lieblich und heiser zugleich war. »Ich heiße Tiara.« Sie hatte einen starken Thai-Akzent.
»Na, hallo, Tiara«, sagte Dox und schenkte ihr ein enormes Grinsen. »Ich bin Bob, und das ist Richard. Aber die meisten Leute nennen ihn Dick.« Er sah mich an, und sein Grinsen wurde noch breiter.
Die junge Frau hielt Dox die Hand hin, und er schüttelte sie. Sie bot sie mir auch an. Ich umfasste ihre Finger und drückte sie leicht. Ihre Fingerspitzen waren glatt, ohne Schwielen. Als sie sich meinem Griff entzog, schaute ich kurz auf ihre Hand. Die Finger waren lang und perfekt manikürt, und das Licht fing sich in ihren polierten Nägeln, als wären sie kleine
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