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Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung

Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung

Titel: Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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banden uns so dauerhaft aneinander wie die Nachkommen einer aufgelösten, lieblosen Ehe.
    Ich ging zu Fuß. Überall machten die Leute Geschäfte, auch das war unverändert: Motorradfahrer boten ihr Gefährt als Taxi an; Ladenbesitzer vermieteten ein paar Quadratmeter in einer Ecke als Parkplatz für einen Motorroller; Straßenhändler brachten gebrauchte Armbanduhren, Austauschmotoren und Kokosmilch in Plastikbechern an den Mann. Der ungeschminkte Kapitalismus, die wirtschaftliche Dynamik der Stadt waren überwältigend. Ich fragte mich, wieso man je gefürchtet hatte, der Kommunismus könne in dieser Kultur Fuß fassen. Der Norden hatte Saigon geschluckt wie ein Virus, und binnen zwanzig Jahren hatte das Virus den Wirt derart infiziert, dass Hanoi nach Doi Moi rief, was sich höflich als »Reformen« bezeichnen ließ, aber zutreffender schlichtweg als »Kapitalismus« verstanden wurde. Diese Menschen vor dem Kommunismus retten? Von wegen, Hanoi war es, das jetzt gerettet werden musste. Wir hätten uns einfach zurücklehnen und die Show genießen können.
    Aber das hätte Geduld erfordert, vermute ich, und auch Weitblick, was beides wohl nie einen führenden Platz unter den Top Ten der amerikanischen Tugenden einnehmen wird. Tja, zumindest musste ich nicht in der gegenwärtigen Fortsetzung mitspielen: »Amerika setzt das Militär ein, um den Nahen Osten zu befrieden und der Tyrannei in unserer Zeit ein Ende zu machen.«
    Fortsetzung, von wegen, dachte ich. Das ist ein verdammtes Remake. Und das Ende wird haargenau gleich sein.
    Ich freute mich, als ich das Opernhaus sah, das heutige Stadttheater, denn es sah genauso aus, wie ich es in Erinnerung hatte. Ebenso die Kathedrale Notre Dame, zusammen mit dem Rathaus ein Relikt der französischen Herrschaft. Mir gefiel, dass die Einheimischen nicht versucht hatten, das koloniale Erbe auszuradieren. Wie sie die Vergangenheit akzeptierten, ja sogar integrierten, zeugte von einer kulturellen Reife, die ich bewundernswert fand.
    Ich lächelte. Vielleicht tat ich ihnen ja zu viel Ehre an. Vielleicht waren sie bloß zu sehr mit Geldverdienen beschäftigt, um sich daran zu stören.
    Ich fand einen Laden, der Messer verkaufte, wo ich ein einfaches Klappmesser mit einer zehn Zentimeter langen Klinge erstand. Eines von besserer Qualität wäre mir lieber gewesen, aber ich musste mich mit dem begnügen, was ich kriegen konnte. Ich schlug die Rückseite der Klinge ein paarmal in meine Handfläche und stellte erfreut fest, dass die Sperre in Ordnung war. Scharf genug war das Messer auch, zumindest bis auf weiteres. Dox mit seinem beinahe fetischistischen Verhältnis zu Messern hätte es wahrscheinlich nur belächelt. Mein Umgang mit Messern ist dagegen recht simpel: spitzes Ende in Zielperson stecken. Bei Bedarf wiederholen. Das hat mir bislang immer gereicht.
    Der Gedanke an den stämmigen Scharfschützen holte mich wieder ein. Ich wollte jetzt nicht an ihn denken – ich konnte zurzeit nichts für ihn tun, daher waren solche Gedanken eine Ablenkung, eine Verschwendung. Doch einen Moment lang gellte mir wieder sein letzter Schrei in den Ohren, und meine Angst um ihn brach sich Bahn. Ich hielt inne und konzentrierte mich darauf, wo ich war, was ich vorhatte, bis der Anfall vorüber war.
    Je später es wurde, desto erschöpfter fühlte ich mich. Die Dunkelheit ließ die Konturen um mich herum weicher werden, und meine aufgefrischten Erinnerungen erschienen wie hartnäckige Sterne an einem verblassenden Himmel. Junge Männer, zehntausend Meilen von der Heimat entfernt und frisch aus dem Dschungel, berauscht von der plötzlichen Freiheit und der verschwundenen Angst, in der Stadt losgelassen und auf der Suche nach Alkohol, Frauen, Ärger jeder Art. Crazy Jake, in einer Bar auf der Dong Khoi, wo er auf einen Typen aus der Navy losging, der irgendwas Blödes zu ihm gesagt hatte, und dann, sobald der Typ mit dem Krankenwagen abtransportiert worden war, gegenüber den MPs alles abstritt, mit Erfolg, denn sein Hai-Lächeln und der Wahnsinn in seinen Augen hatten ihnen signalisiert, wenn ihr mir Ärger macht, seid ihr so gut wie tot. Alle lachten nervös, nachdem die MPs ihren Irrtum eingeräumt und das Weite gesucht hatten, alle bis auf Crazy Jake selbst, der sich schon darauf eingestellt hatte zu sterben, ja, der damit gerechnet hatte und vielleicht enttäuscht war, weil es schon wieder nicht passiert war, weil die Kriegsgötter Pläne für ihn hegten, die nichts zu tun hatten mit der

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