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Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung

Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung

Titel: Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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ist, während deine Uniform noch mit dem warmen Blut deines Freundes durchtränkt ist, packen ihn zwei Männer, die du noch nie gesehen hast und nie wiedersehen wirst, in einen Leichensack und werfen ihn unsanft in einen Rettungshubschrauber, und einen Moment später ist er verschwunden, so plötzlich, dass du dich fragst, woher denn das viele Blut kommt. Es gibt keine Trauerfeier, kein Begräbnis, bloß eine Trauer, die so verwirrend und bitter ist, dass sie dir die Luft zum Atmen raubt. Und das Einzige, was dich davor bewahrt, von der Trauer gelähmt zu werden, von ihr umgebracht zu werden, ist ein so weißglühender Zorn, wie ihn sich ein Mensch mit gesunder Psyche nicht mal ansatzweise vorstellen kann.
    Der Zorn hat einen Zweck: Er bietet nämlich ein Ventil. Aber der Preis dafür ist hoch. Du tust Dinge, die du nie für möglich gehalten hättest, bei niemandem, Dinge, über die du anschließend nicht reden kannst, nicht mal mit den Männern, die dabei waren. In diesem Zustand ist alles verschwunden, was dich menschlich gemacht hat, dein Mitgefühl und sogar deine Furcht. Du fühlst dich, als wärst du bereits gestorben, und in gewisser Weise stimmt das auch. Ein Teil von dir ist gestorben und wird nie zurückkehren. Zu dem Zeitpunkt ist es fast eine Gnade, getötet zu werden. Wenn du nämlich überlebst, wenn du deinen eigenen Tod überlebst, ist der Weg zurück ins Leben nahezu unmöglich. Nach dem Krieg versuchten manche Männer aufrichtig, aber vergeblich, sich damit zu erklären. Es waren innerlich leere Männer, die im Umgang mit der Welt nur noch zwischen Schweigen und Wut wählen konnten. »Ich bin dort gestorben«, sagten sie.
    Ich dachte das auch, eine ganze Zeit lang danach. Doch jetzt, als ich von der Rückbank eines Taxis Bilder des kargen Landes sah, das meine Unschuld verschluckt hatte, dachte ich: Nein, ich bin hier nicht gestorben. Ich bin in Vietnam geboren.
    Und ich hatte das Land nie verlassen. Nicht richtig. Ich war wieder in den Staaten gewesen, dann überall auf der Welt, wurde schließlich in Japan sesshaft, zumindest für eine Weile. Aber der Mensch, der hier geboren wurde, ist nie erwachsen geworden, hatte sich nie grundlegend verändert. Sein Körper war unterwegs gewesen, aber seine Seele war in dem Land geblieben, das sie geformt hatte.
    Als ich einmal zu Midori sagte, ich würde gern aus der Branche aussteigen, hatte sie mich gefragt, wie stark ich es versuchen würde. Ich spürte, wie sich bei der Erinnerung daran meine Kiefermuskulatur verkrampfte. Was für Schrecken hatte sie denn je erlitten? Wie konnte sie, wie konnte überhaupt irgendwer, der nicht dabei war, sich vorstellen, wie der Krieg dich verändert?
    Menschen zu verlieren und nicht richtig um sie trauern zu können lässt deine Welt schrumpfen. Du vermeidest tiefere Bindungen, alles, was weh tun könnte, wenn du es wieder verlierst. Du fängst an, es ist nicht wichtig zu sagen, bei allem, besonders bei den wichtigen Dingen. Du lernst, dass nur ganz wenigen Menschen zu trauen ist, die immer noch weniger werden. Du fühlst dich von deiner eigenen Regierung ausgenutzt. Die Ausrüstung ist mies, die Befehle sind mies, du weißt, den Politikern ist es scheißegal, ob du lebst oder stirbst, Hauptsache, sie werden wieder gewählt. Und dann, wenn du in irgendwas besonders gut bist, wie ich es offenbar war, wirst du auf einen Sondereinsatz geschickt, wo du deinen besten Freund umlegen kannst, weil er außer Kontrolle geraten ist: meinen Blutsbruder Crazy Jake, noch immer der gefährlichste Mann, den ich je gekannt habe. Dann kommt alles zusammen: der Schrecken, die unterdrückte Trauer, das Schweigen, das Misstrauen, der rasende, alles verzehrende Hass.
    Ich stieg vor dem Rex aus dem Taxi und lehnte das Angebot eines Hotelpagen ab, mir bei meiner Tasche behilflich zu sein. Ich würde nicht hier wohnen bleiben, aber ich kannte das Hotel vom Fronturlaub in Saigon und dachte, es wäre ein guter Ausgangspunkt, um mich wieder mit der Stadt vertraut zu machen. Ich war froh, dass es noch existierte, sogar mit der albernen Krone über dem Vordach. Nicht bloß, weil ich es tröstlich fand, dass meine Erinnerungen nicht bloß Relikte bewahrt hatten, sondern auch, weil ich auf vertrautem Terrain Zeit sparen und mich sicherer fühlen würde.
    Ich blickte über die Straße Le Loi und lächelte. Das Einkaufszentrum mit dem sonderbaren Namen Saigon Tax stand noch, sah sogar größtenteils noch so aus wie in meiner Erinnerung, wobei der

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