Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung
zurückgekehrt war. Ich ging über das Rollfeld zu einem wartenden Bus, und das, was mir das alles wieder nahebrachte, war die feuchte Hitze, dieser Geruch nach fruchtbarer Erde, Dreck und tropischer Vegetation im Wettstreit mit Fäulnis. Dann schlossen sich die Türen, und einen Moment lang war alles weg. Aber natürlich war es noch da. Es war immer da gewesen.
Draußen vor dem Flughafen herrschte Chaos. Wimmelnde Menschen und hupende Taxis und wieder die feuchte Hitze. Die sonderbar vertrauten Rhythmen der Sprache selbst, tonal wie das Chinesische, aber weicher, nicht ganz so hoch. Ich roch Diesel und Gewürze und wieder diesen Dschungelgeruch, den Dreck, der sich in meinem Kopf festgesetzt hatte wie einst an meinen Schuhen.
Ich bezweifelte, dass Hilger Zeit gehabt hatte, mir hier von jemandem auflauern zu lassen. Selbst wenn er es gewollt hätte, bei meiner Reiseroute hätte er nicht wissen können, wann genau ich eintraf. Und selbst wenn er richtig geraten hätte, bot sich der Flughafen mit seinen Überwachungskameras und sonstigen Sicherheitseinrichtungen nicht gerade für einen Hinterhalt an. Dennoch, ich hätte nicht so lange überlebt, wenn ich irgendetwas als selbstverständlich erachtet hätte. Als Erstes wollte ich mich vergewissern, dass ich nicht beobachtet wurde.
Ich hängte mir meine Reisetasche über die Schulter und stieg in ein Taxi, um mich in die Innenstadt bringen zu lassen. Der Fahrer sprach ganz passabel Englisch. Ich blieb bei meiner japanischen Identität und benutzte einen japanischen Akzent. Bei Hilger würde ich Amerikaner sein. Ansonsten wollte ich als Japaner auftreten. Diese beiden Identitäten waren für mich schon immer leicht unterschiedlich, und durch das Wechseln von der einen in die andere war ich schwerer zu beschreiben und somit auch schwerer aufzuspüren.
Ich schaute nach hinten, als wir losfuhren. Etliche Taxis folgten uns in den dichten Verkehr. Ich wartete drei Minuten und sagte dann: »Moment, fahren zurück, zurück! Sonnenbrille vergessen!«
Der Fahrer sah mich verunsichert an. »Sonnenbrille!«, sagte ich wieder und zeigte auf meine Augen. »Flughafen, bitte.«
Er nickte und wendete dann halsbrecherisch in den Gegenverkehr, was bei einem älteren Fahrgast womöglich einen Herzstillstand ausgelöst hätte. Ich blickte wieder nach hinten, als wir zurück Richtung Flughafen fuhren. Niemand, nicht mal einer von den Aberhunderten motorisierten Zweiradfahrern, wendete ebenfalls.
Ich gab dem Fahrer fünf Dollar – noch immer die bevorzugte Währung und ungefähr die Summe, die die Fahrt ins Zentrum gekostet hätte –, ging zurück ins Flughafengebäude, wartete drinnen und sah mich um. Niemand war mir hinein gefolgt, und ich sah niemanden, der draußen Posten bezog. Ich nahm mir ein anderes Taxi und ließ mich zum Hotel Rex bringen.
In dem dichten Verkehr dauerte die fünf Meilen lange Fahrt fast eine Stunde. Ich saß auf der Rückbank, wo ich hin und wieder von einem Schlagloch durchgerüttelt wurde, umringt von einer schwirrenden und hupenden Motorradarmada, und konnte nichts anderes tun als schauen und nachdenken.
Ich hatte nie vorgehabt, hierher zurückzukehren. Nicht weil ich diese Menschen hasste, obwohl das viele Soldaten noch heute tun – Menschenskind, manche Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg hassen die Japaner bis auf den heutigen Tag. Damals hasste ich sie, ja. Ich wollte sie hassen, wollte beweisen, dass ich trotz meines japanischen Gesichts anders war, Amerikaner war, amerikanischer noch als die Soldaten, die an meiner Seite litten und kämpften.
Und es gab jede Menge Gelegenheiten zum Hass, jede Menge Gründe. Die Vietnamesen waren Meister der psychologischen Folter. Sie konnten alles, jedes harmlose neutrale Etwas in deiner Umgebung in etwas Tödliches verwandeln, bis dir die ganze Welt vorkam wie dein Feind. Sie machten aus allem Sprengfallen: Kugelschreiber, Proviantdosen, die Leichen gefallener Soldaten. Sie versteckten Stolperdrähte unter Geäst und Minen im Sand. Sie bauten Fallgruben mit angespitzten Stöcken am Rand einer Straße und lauerten dir auf. Wenn du mit einem Hechtsprung in Deckung gehen wolltest, wurdest du aufgespießt.
Stell dir vor, du verlierst auf diese Weise einen Kameraden, einen von den Männern, die dich immer mit ihrem Lächeln aufheitern konnten, die dir das Leben gerettet haben, die stets für dich da waren. Stell dir vor, wie sehr du hassen würdest. Aber ehe du auch nur die Chance hast zu begreifen, was passiert
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