Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung
und nicht weiterfahren. Scheiße, das ist auch nicht viel besser als die Information, dass sie irgendwo in Asien sind.«
»Es ist ein Puzzleteilchen mehr«, sagte Kanezaki nach einem Moment. »Wie Sie gesagt haben.«
Ich seufzte. Er hatte wieder recht. »Bringt Ihnen das was im Zusammenhang mit dem, was Sie bereits haben?«, fragte ich. »Die Visa, der bekannte Abflugort, die Finanzierung durch Regierungsgelder?«
»Wohl kaum. Ich kann Reiseunterlagen nicht nach Abflugorten durchsuchen, nur nach Namen. Es sieht auch nicht so aus, als wäre unser Freund unter seinem Namen gereist. Es dauert also seine Zeit.«
»Verstehe«, sagte ich, bemüht, nicht zu frustriert zu klingen. Wir hatten so viele Puzzleteilchen … aber sie ergaben noch kein Ganzes. Ich unterdrückte den Impuls, einfach nach Jakarta zu fliegen und zu sehen, wie ich dort weiterkam. Ohne weitere Informationen wäre das sinnlos.
»Was ist mit Ihnen?«, fragte er. »Haben Sie bei dem Anruf irgendwas erfahren? Irgendwas Neues, womit wir arbeiten können?«
»Nein. Das heißt … vielleicht ist einer von den Leuten, die Dox festhalten, ein Marine oder Exmarine. Ich glaube, Dox wollte mir das zu verstehen geben, aber sicher bin ich nicht.«
»Gut, ich seh mal, ob uns das irgendwie weiterbringt.«
Noch während ich das sagte, wusste ich, dass es unwahrscheinlich war. Es war so gut wie nichts.
»Das ist jedenfalls alles«, sagte ich. »Hilger hat gesagt, er würde die Infos zu dem nächsten Auftrag in zwei Tagen ins Bulletin Board stellen.«
»In zwei Tagen? Sie machen es schon wieder, nicht? Sie lassen sich Zeit, um …«
»Ich mache gar nichts. Er hat gesagt, die betreffende Person ist erst in achtundvierzig Stunden in Position. Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu warten. Wenn Sie in der Zwischenzeit was rausfinden, umso besser.«
»Ansonsten …«
»Ja, genau. Ansonsten ist Nummer zwei auf der Liste fällig.«
»Mein Gott«, hörte ich ihn flüstern.
»Kommen Sie mir nicht so«, knurrte ich. »Ich lasse nicht zu, dass meinem Freund was passiert.«
»Ja, aber …«
»Scheiß drauf. Ich will’s nicht hören. Nicht, wenn Sie sich selbst nie die Hände schmutzig gemacht haben. Haben Sie? Haben Sie sich je die Hände schmutzig gemacht? Oder lassen Sie die hässlichen Sachen von anderen erledigen, damit Sie nachts schlafen können wie ein Baby?«
Ein langer Augenblick verging. Dann sagte er: »Ich wollte Sie nicht verurteilen. Ich war bloß … ein bisschen erschrocken. Mehr nicht. Ich versuche zu helfen, okay?«
Ich beobachtete die Leute, die an mir vorbeischlenderten. Eine Gruppe Teenager, lachend mit perfekt geraden Zahnreihen, in auf alt getrimmten Jeans, die wahrscheinlich zweihundert Dollar das Stück gekostet hatten. Männer, in deren Gesichtern sich nicht mehr abzeichnete als die durch zu viel Botox geglätteten Sorgenfalten wegen überzogener Dispokredite. Frauen mit nackten, fettabgesaugten Taillen und kolossalen Silikonbrüsten. Ein Strom wohlgenährter Egozentrik, eine Epidemie unsicherer Arroganz. Ich hasste sie. Ich hasste sie alle.
»Sind Sie noch dran?«, hörte ich Kanezaki fragen.
»Ja.«
»Sie hören das wahrscheinlich nicht gern, aber Ihnen brennt in letzter Zeit leicht die Sicherung durch.«
»Stimmt, das hör ich nicht gern.«
»Ich sag das nur, weil …«
»Weil was?«
»Schon gut.«
»Nein. Raus mit der Sprache.«
Er seufzte. »Vergraulen Sie die Leute nicht, die Ihnen helfen wollen. Das können Sie sich nicht leisten. Und auch nicht unser gemeinsamer Freund, der in Schwierigkeiten steckt.«
»Aha, jetzt wollen Sie mir auf einmal helfen. Nicht mich benutzen. Mir helfen.«
»Hören Sie, ich verspreche mir auch was von dieser Sache, ja. Daraus hab ich Ihnen gegenüber nie einen Hehl gemacht. Aber das heißt nicht …«
»Doch, genau das heißt es«, schrie ich. »Genau das. Wann werden Sie endlich erwachsen und begreifen, dass Sie nicht das eine ohne das andere haben können, verdammt nochmal?«
Ich knallte den Hörer auf die Gabel und ballte die Hände zu Fäusten, kämpfte gegen den Impuls an, irgendetwas zu zerschlagen. Ein Laut drang aus meiner Kehle. Es klang wie ein Knurren.
Ich blickte auf und sah drei kräftige junge Männer, Collegetypen, die mich aus fünf Metern Entfernung beobachteten. Weiß, gekleidet wie Möchtegerngangster. Mir wurde klar, dass sie wegen meines Ausbruchs stehen geblieben waren.
»Cool bleiben, Alter«, sagte einer von ihnen.
Ich blieb völlig reglos. In mir tobte ein
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