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Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung

Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung

Titel: Tokio Killer 06 - Letzte Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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fühlte sich ganz natürlich an, und es fiel mir leicht. Ich überlegte, ob ich vielleicht einfach nachgeben und damit leben sollte. Was brachte es schon, dagegen anzukämpfen? Auf lange Sicht kannst du gegen dich selbst nicht gewinnen. Ich hatte eine Weile nach Punkten in Führung gelegen, aber der Eismann war geduldig. Er hatte abgewartet, und als er seinen Augenblick gekommen sah, hatte er seinen Weg zurück gefunden.
    Nein, nicht zurück. Vielleicht war er ja einfach immer da gewesen. So wie er wohl immer da sein würde.

17
    FRÜH AM NÄCHSTEN MORGEN checkte ich aus dem Stanford Park aus und fuhr Richtung Süden. In einem Internetcafé in San José sah ich in Kanezakis Bulletin Board nach. Nichts. Ich suchte mir ein anderes Café und schaute nach, ob Hilger sich gemeldet hatte. Wieder Fehlanzeige. Ich schrieb ihm eine Nachricht mit dem Wortlaut: »Wann kann ich Sie telefonisch erreichen?« Ich erwähnte nicht, dass Jannick erledigt war. Ich erwähnte Dox nicht. Vorläufig wollte ich mir meine Möglichkeiten offenhalten.
    Wie es aussah, hatte ich jetzt ein bisschen Zeit. Ich beschloss, an der Küste entlang nach Los Angeles zurückzufahren. Seltsame Umstände, um meinen Wunsch nach einer Fahrt am Meer zu erfüllen, aber wieso nicht, wo ich schon mal da war. Außerdem könnte ich dabei in Ruhe nachdenken.
    Die Fahrt war herrlich. Unterwegs kam auch mein Appetit wieder, und ich legte in Carmel einen Zwischenstopp ein, um zu Mittag zu essen. Ich entdeckte zufällig ein italienisches Restaurant namens Casanova in einem malerischen Gebäude im spanischen Missionsstil und aß auf der Terrasse in der warmen Sonne. Das Essen war vorzüglich: Bruschetta mit Tomaten aus der Region; Linguini mit frischen Miesmuscheln und Schalotten; Schokoladen-Krokantkuchen. Dazu ein ’96er Hudson Vineyard Marcassin Chardonnay, für den allein sich schon die Fahrt gelohnt hatte.
    Delilah hätte es hier gefallen. Mir war klar, dass ich sie eigentlich anrufen müsste. Aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Die Arbeit, die sie machte, und die Welt, in der sie lebte, erforderten natürlich Kompromisse, aber auf ihre Art war Delilah ein zutiefst moralischer Mensch. Ich wollte ihr nicht sagen müssen, was ich hier getan hatte. Und ich wollte nicht das Misstrauen in ihrer Stimme hören, wenn ich mich weigerte, ihre Fragen zu beantworten. Und vor allen Dingen wollte ich nicht, dass sie mich verurteilte. Das hatte ich bei Midori schon zur Genüge erlebt, und ich würde es mir nicht auch noch von Delilah gefallen lassen. Wie könnte sie es überhaupt verstehen? Wie könnte es irgendwer verstehen, der es nicht selbst erlebt hatte?
    Ja, aber Delilah kennt dich besser als sonst jemand. Sie würde es verstehen.
    Unfug. Keiner versteht das, niemals. Sie behaupten es zwar, aber das stimmt nicht.
    Ich fuhr weiter nach Süden, die Fenster heruntergelassen, das Sonnendach offen, den Wind in den Haaren. Ab Big Sur wurde die Straße schmaler, der Verkehr ließ nach, die Geschäfte und Häuser und sonstige Spuren von Menschen verschwanden allmählich, je weiter ich fuhr. Bald bestand das Land fast nur noch aus ruhigen Weiden und hügeligen Nadelwäldern, aus geschwungenen Klippen, die sich am Pazifik entlangwanden, landeinwärts, landauswärts, vor und zurück, und jede Kurve offenbarte einen neuen spektakulären Ausblick. Ich sah das Meer in dreihundert Metern Tiefe glitzern und hatte das Gefühl, am Rand der Welt entlangzufahren, durch ein vollkommen abgelegenes Land, außer Reichweite der Zivilisation, außerhalb jedes Begriffs von Buße und Reue. Ein Land, das nur für sich selbst existierte, das all die zerbrechlichen Wesen, die es dann und wann durchkreuzten, weder guthieß noch ablehnte, noch in irgendeiner Weise zur Kenntnis nahm.
    San Simeon. Pismo Beach. Santa Barbara. Die Sonne ging über dem Wasser unter, erst gelb, dann rosa, schließlich ein langes rotes Band am Horizont, das tiefblau verblasste. Ich fragte mich, ob Delilah schon einmal diese Route gefahren war, und stellte mir vor, wie es wäre, sie hier bei mir zu haben, gemeinsam mit ihr zuzuschauen, wie das Tageslicht einem gigantischen Sternengewölbe wich. Ich versuchte, den Gedanken zu verdrängen, aber das Gefühl blieb.
    Ich fuhr im Dunkeln weiter. Ohne die Ablenkung durch die sonnenerhellte Landschaft gerieten meine Gedanken auf Abwege, streiften hin zu unguten, düsteren Orten. Ich dachte an Jannick und an alles, was ich ihm genommen hatte. Ich sagte mir, dass ich keine Wahl

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