Tokio Total - Mein Leben als Langnase
Ringrichter in seinem farbigen Kimono macht Zeichen mit einer Art Fächer zu Start und Ende des Kampfes.
Wir hockten also eng zusammen auf unseren drei Quadratmetern und brachten irgendwie unsere Beine unter unseren Körpern unter. Selbst Japaner müssen sich zwischendurch mal ausstrecken oder umorganisieren, wenn sie stundenlang auf dem Boden sitzen sollen. Manchmal kam es mir vor wie bei Loriot: Entschuldigung, dürfte ich mal … mit meinem Fuß? Danke. Oh, ist das dein Bein?
Ich trug die falschen Schuhe: welche mit Schnürsenkeln. Ein Fehler, und dazu noch komplett unjapanisch. Die Einheimischen treten ihre Sneaker und sogar richtige Lederschuhe hinten runter und schnüren sie vorne nur ganz lose. Sie basteln sich damit Pantoffeln mit Adidas-Streifen oder Bally-Logo.
Bevor ich also im Gang zwischen den Tatamiflächen auch nur einen Senkel losgefummelt hatte, waren sämtliche anwesenden Japaner bereits auf ihre Plätze geglitten und lächelten milde dem Ausländer zu, der irgendwie auf einem Bein tanzend seinen ersten Schuh unter den Sitzbereich schieben wollte, da aber schon alles vollgestopft vorfand, so dass am Schluss nur der Schuh des Ausländers (also meiner) halb vorstand. Jedes Mal, wenn die Kellner des Teehauses in ihren Yukata mit Bier oder Esskästchen vorbeieilten, wichen sie meiner Schuhspitze nur knapp stolpernd aus und verbeugten sich vorwurfsvoll.
Sachiko erzählte vom Alltag der Kraftmenschen, japanisch »Rikishi«, in den Sumo-Häusern. Sie trainieren nur morgens. Die Nachwuchsringer bereiten mittags für alle einen Eintopf mit viel fettem Fleisch vor. Oft trinken die Rikishi dazu noch einige Flaschen Bier, um schneller dick zu werden. Alle machen einen langen Mittagsschlaf, der ebenfalls helfen soll, Gewicht aufzubauen. Neulich musste ein Trainer für sieben Jahre ins Gefängnis. Der Verurteilte beteuerte bis zum Schluss, sich nur an Traditionen gehalten zu haben. Einer seiner Schützlinge war gestorben, weil er ihm eins mit einer Bierflasche über den Kopf gezogen hatte.
Sumo ist ein Sport, der sich am besten in Zeitlupe genießen lässt. Denn jeder Kampf entscheidet sich in den Zehntelsekunden,
in denen ein Kraftmensch den anderen aus dem Ring schiebt oder überwältigt. Davor und danach stehen die Kolosse sich Ewigkeiten gegenüber, werfen rituell mit Salz oder klatschen sich auf die Schenkel.
Erst erstaunten mich die vielen kleinen Bildschirme in den Händen der Besucher. »Spielen die Leute Games auf ihren Handys?«, fragte ich Sachiko. Sie wusste es auch nicht, also schlich ich mich beim nächsten Ausflug zum Getränkeautomaten von hinten an ein junges Paar an. Tatsächlich hielten sie sich ihre Handys vor das Gesicht, doch als ich das Programm auf dem Display erkennen konnte, machte ich Laute des Erstaunens. Darauf lief die Liveübertragung des Turniers hier aus der Halle. Diese Zuschauer empfingen das digitale Fernsehsignal. Über ihren Ohrstöpsel konnten sie den Profikommentar hören und die Würfe in Zeitlupe sehen. Die Fernsehübertragung lief leicht zeitversetzt. Bildete ich es mir ein, oder jubelte ein Teil der Zuschauer eine halbe Sekunde später als der Rest?
Es ist kaum zu glauben, aber selbst aus ihren Erdbeben machen die Japaner ein Erlebnis. Ich versuchte, meine Überlebenschancen zu verbessern, und meldete mich für einen Erdbebenkurs der Feuerwehr an. Es wurde eine Spaßveranstaltung.
Erst zeigten die Feuerwehrleute in einem Kino einen dramatischen 3-D-Film. Das große Beben von Tokio in Farbe und stereo - wie die Leute bei der Arbeit, im Aufzug, in der Vorstadt, in der Schule von den Stößen überrascht werden. Als Dachziegel von oben auf die fliehende Oma zuflogen und direkt vor ihren Füßen zersprangen, duckte sich die
junge Angestellte neben mir erschreckt in ihren Sitz. (Ich mich auch.) Außer mir war eine Gruppe von Berufsanfängern dort, die ihre Firma hergeschickt hatte. Ein Stockwerk höher führten uns die Feuerwehrleute in einen komplett wasserfest ausgekleideten Raum. Auf einem Bildschirm von der Größe einer Kinoleinwand flackerten Brände auf. Bei der Übung zum Feuerlöschen musste ich mich kräftig gegen die Spritze stemmen, aus der ich mit echtem Wasser das virtuelle Feuer löschte. Ich übte im Team mit einem der Anzugjungs, der auf meine Zurufe das Ventil bediente. Nächste Übung: Flucht aus dem brennenden Gebäude. Die Feuerwehr hatte einen Irrgarten von Zimmern gebaut, den sie mit Diskorauch vollpumpen konnte.
Dann der Höhepunkt auf den
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