Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Titel: Tokio Total - Mein Leben als Langnase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Finn Mayer-Kuckuk
Vom Netzwerk:
bei der Reservierung das Menü ausgewählt und vorsichtshalber das preiswerteste Programm genommen. Alle tranken Bier, das als all-you-can-drink nichts
weiter kostete. Die Wärter brachten erst Sashimi vom Lachs und einen grünen Salat mit Kartoffelchips darüber. Dann kam ein Hühnersalat mit Sojasoßengeschmack. Um den Magen zu füllen, stellten die Aufseher einen Topf mit Kimchi, Tofu und Schweinefleisch auf einen Gaskocher. Dazu brachten sie noch dicke Weizennudeln, Udon, um sie in dem Eintopf fertigzugaren. Als Dessert gab es Mandeltofu mit Mango.
    Zwischendurch ging ein Heidenlärm los. Es wurde dunkel, rote Lichter blinkten. Eine verzerrte Stimme gab unablässig über Lautsprecher durch: »Achtung, Gefahr! Achtung, Gefahr! Aus unserer genetischen Versuchsabteilung ist ein Monster ausgebrochen und in den Zellentrakt geflüchtet.« Erste spitze Schreie erklangen aus den Zellen. Eine Gruppe von Darstellern, zwei Männer und zwei Frauen im Overall, rissen unser Gitter auf und stürmte auf der Suche nach dem Monster durch unsere Zelle, ließ sich aber Zeit für ein Foto mit uns. Kurz nachdem die Monsterjäger weg waren, kam auch das Monster in unsere Zelle, leicht erkennbar als geschminkter und verkleideter Student. Er grunzte, bedrohte uns, ließ sich mit jedem von uns fotografieren und musste dann weiter in die nächste Zelle. Nachdem die Einlage vorbei war, ging das Licht wieder an, und die Stimme verkündete Entwarnung, das Monster sei gefangen. Aus der Nachbarzelle kicherten und lachten noch die Mädchen. »Na ja«, sagte Sachiko, »so was habe ich aber schon gruseliger gesehen.«
    In Tokio herrscht eben harte Konkurrenz der Restaurantkerker.

    Und hier locken, klar, noch zahllose andere Vergnügungen. Wir gingen auch manchmal zum Sumo, was mehr einem Picknick ähnelt als einem Besuch im Stadion.
    Sachiko liebte Sumo. Sie war Fan eines mongolischen Champions. Zu Hause schon brütete sie über den winzigen Schriftzeichen des Turnierplans. Um fünf Uhr morgens stellte sie sich an, um gute Karten für die große Halle zu bekommen. Manchmal rief sie mich an und fragte, ob ich Zeit habe mitzukommen. Ganz genau weiß ich nicht, wer da wem einen Gefallen tat. Sie wollte schließlich nicht alleine hingehen, und wie Baseball hat Sumo ziemliche Längen. Wir verbrachten denn auch jedes Mal praktisch den kompletten Sonntag auf Tatamimatten in der »Nationalen Kunstfertigkeitshalle«, dem Tokioter Stadion nur für Sumo. Sachiko als echter Fan mietete hier einige Quadratmeter Fläche. Wir mussten die Beine zusammenfalten, um draufzupassen.
    Ich behauptete, Fan von Weißer Riesenvogel zu sein, was eine billige Wahl war, denn dieser Ringer hatte gerade eine Erfolgssträhne. Das klang in etwa so, als käme einer nach Deutschland und wähle sich Bayern München als Fußballverein. Weißer Riesenvogel war ein ausländischer Kämpfer, ein Mongole. Dass die Sumo-Organisation überhaupt Ausländer zuließ, war zehn Jahre zuvor - als ich in Fukui war - noch neu und unerhört. Die Erfolge der nichtjapanischen Ringer bleiben ein ständiges Gesprächsthema, vor allem wenn sich im Endspiel zwei ausländische Kraftmenschen gegenüberstehen. Aus Sicht konservativer Japaner ist das ein neuer Höhepunkt der Dreistigkeit von Ausländern: Erst besiegen sie uns im Krieg, dann bringen sie ihre Hamburger und Fritten und jetzt nehmen sie uns auch noch unser Sumo weg.

    Zwischen zehn und zwölf trudelten Yusuke und Akiko ein. Sachiko saß schon seit acht Uhr einsam auf den Tatami und fieberte bei den Vorkämpfen mit. »Wer da nicht auf die jungen Talente achtet, kennt sich später mit den Kämpfern nicht aus.«
    Ein beflissener Knabe im Yukata brachte gegen Mittag die Essenspackungen und Bier. Auf den Esskästchen waren Sumo-Kämpfer abgebildet, drinnen fanden sich Leckereien aus der Heimatregion des Kraftmenschen. Yusuke bekam eine Packung mit Krebsfleisch aus Hokkaido, weil seine Packung einem Kämpfer aus dieser Region gewidmet war. Ich nahm den Bulgaren Kotoôshu, »Wölbbrettzither Europas«. Außer Schweinefleisch in Bratensoße, Fleischbällchen und Joghurt fand ich Maultäschchen, die bulgarisch sein sollten. In Akikos Box lagen kleine Frühlingsrollen. Ihr Favorit kam aus der Mongolei.
    Sachiko erklärte uns noch einmal die Grundregeln des Sports. »Die Kämpfer versuchen, einander auf den Boden zu schmeißen oder aus dem Sandkreis zu schieben.« Verloren hat, wer mit einem anderen Körperteil als den Fußsohlen den Boden berührt. Der

Weitere Kostenlose Bücher