Tokio Total - Mein Leben als Langnase
würde, da würden alle denken: Der kennt sich nicht aus, wie ekelhaft, heiße Bäder sollten für Fremde verboten werden. Gerade die älteren Herren lauerten doch nur auf so was. Bildete ich mir zumindest ein.
»Das mit dem Handtuch auf dem Kopf ist putzig, das machen sonst doch nur Opas«, sagte Kenji.
»Hier ist keine Stelle zum Ablegen des Handtuchs. Außerdem ist es völlig korrekt, es sich auf den Kopf zu legen«, verteidigte ich mich.
»Trotzdem putzig.«
Ich entzifferte das Holzschild über dem Becken: »Dieses Wasser hilft gegen Hüftschmerzen, Schulterverspannung, orthopädische Unregelmäßigkeiten, Verdauungsprobleme, Hautunreinheit, Allergien, Stoffwechselstörungen, Kreislaufbeschwerden, Veränderungen der Säfte und Nervosität.«
»Wusstest du, dass ein deutscher Arzt diese Art von Werbung für das heiße Wasser in Japan eingeführt hat?«, fragte ich Kenji.
»Nö. Echt? Ich dachte, das hätte es schon immer gegeben.«
»Erwin Bälz kam nach Kusatsu und dachte gleich an Karlsbad. Nach diesem Vorbild erfand er all die angeblich heilsamen Wirkungen des japanischen Vulkanwassers.«
Akiko war hier nicht dabei, denn sie war mit Sachiko und den anderen Frauen hinter dem roten Vorhang für die Frauen verschwunden. Seit der Modernisierung Japans im 19. Jahrhundert - etwa seit der Zeit von Erwin Bälz - badeten Frauen und Männer getrennt.
»Wir Japaner gehen mit Nacktheit viel lockerer um als Ihr Westler«, behauptete Kenji.
»Spinnst du? In Deutschland gehen Männer und Frauen zusammen in die Sauna. Und am Ostseestrand liegen die Leute kilometerweit komplett unbekleidet«, sagte ich.
»Was? Ich dachte, Christus hätte Nacktheit verboten?«
Die Tokioter lieben auch Themenrestaurants mit viel Show. Dekorierte Läden mit verkleideten Kellnern kommen ihrem Sinn für Rollenspiel und Verkleidung entgegen. Kaum eine Gruppe von deutschen Großstädtern Mitte dreißig würde doch ernsthaft in ein Restaurant mit Gefängnisatmosphäre gehen. In Tokio schlug Akiko genau das vor. Der Laden lag in Ikebukuro und hieß »Lock up«.
Wir waren erst mal eingeschüchtert. Draußen war noch lautes, helles Tokio gewesen, drinnen waberte Dampf durchs Dunkel. Schwarze Kerkerwände umschlossen eng den Gast, sobald er aus dem Aufzug trat. Nachdem die Türen sich geschlossen hatten, fühlte der Ort sich an wie tief unter der Erde. »Das ist echt unheimlich«, sagte Kenji. Aus der Deko drangen Schreie. »Bitte warten Sie auf Ihren Wärter«, sagte ein Junge im Studentenalter mit Clipboard am Eingang. Er trug längs gestreifte Sträflingskleidung. Die Wände waren als Steinwände wie im Chateau d’If des Grafen von Monte Christo aufgemacht. »Wir haben reserviert«, sagte ich. »Ja, Sie sind Häftling Mayer, ich weiß«, entgegnet der Junge geheimnisvoll.
Wir warteten, während hinter den Wänden weitere Schmerzensschreie erklangen. Dann schob der Gefangene (oder Wärter?) uns durch eine eisenbeschlagene Tür. Wir fünf gingen im
Gänsemarsch rein und fanden uns in einem Irrgarten wieder. Die Tür hatte innen keine Klinke.
»Die wissen nicht, ob sie jetzt Spukhaus, Gefängnis oder Monsterschau machen wollen«, sagte Miguel. »Ich bin hungrig, wann gibt es denn etwas zu essen?« Aber zunächst mussten wir wohl oder übel den Weg finden. Wir öffneten allerlei Türen, fanden dahinter aber nur eine zuckende Gestalt auf dem elektrischen Stuhl oder blubbernde Kolben mit ungeborenen Aliens. Schließlich stolperten wir durch eine Tür, hinter der eine Frau in smarter blauer Uniform wartete. »Häftling Mayer?« Sie kettete mein linkes Handgelenk mit Handschellen an ihr rechtes. »Ich liefere Sie jetzt in Ihre Zelle ein.«
Der eigentliche Häftlingsblock erstreckte sich über das komplette Stockwerk. Es ging um fünf Ecken, überall waren niedrige Zellen eingebaut. Jede war mit einer schweren Gittertür abgesperrt, dahinter lachten die Gäste. Noch einige Schritte durch einen engen Gang, dann schob das Mädchen ein Gitter beiseite, klangklangklang. »Hier ist Ihre Zelle, einrücken, aber marsch, bitte sehr.« Sie beugte sich vor und wies mit der Hand hinein. Machte sie das absichtlich so, dass ihr superkurzer Latexrock noch höher rutschte?
Wir zogen die Schuhe aus und gingen in unsere Zelle, in der wir am niedrigen Tisch auf dem Teppich saßen - ganz japanisch. Bei den Uniformierten konnten wir nicht bestellen, die waren nur zum Einweisen da. Dafür kamen wenig später horizontal gestreifte Kellner zu uns.
Ich hatte schon
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