Tokio Total - Mein Leben als Langnase
Luxushotels aus: tiefer Teppich, verblichene Fotografien in güldenen Rahmen, schwere Sessel mit Blumenmuster. Welch ein Unterschied zu den ausgefeilten Designs in Tokio, wo sich die Architekten mit Glas und Metall überbieten. Dagegen wirkte die altertümliche Deko fast schon entspannend.
Als wir uns im Zimmer versammelt hatten, klopfte unser persönliches Kimono-Mädchen an die Tür, öffnete die Papierschiebewand zum Eingangsbereich und servierte uns Tee. Sie erklärte uns, wie wir zu den heißen Bädern kamen und welches Geschlecht wann wo reindurfte. »Und selbstverständlich können Sie im gesamten Haus Yukata tragen, doch wir erhalten von Ihnen die Gunst, dass Sie zum Frühstück westliche Kleidung anziehen.«
Wir zogen alle Yukata an. »Nicht soo!«, sagte Sachiko, als ich mir das Ding anziehen wollte wie einen Bademantel.
»Spielt doch keine Rolle, Hauptsache, Finn ist nicht nackt«, fand Kenji.
»Ich denke, man muss bloß die linke Seite über die rechte schlagen, dann ist alles richtig«, behauptete ich.
Sachiko zeigte mir, was noch alles zu beachten ist. Vor dem Schließen sollte ich beide Seiten des Kleidungsstücks so anheben, dass der Saum knapp über die Knöchel reichte. Dann hatte ich den linken Teil über den rechten zu legen, aber eng angepasst, und sollte die überschüssige Länge in einer Falte verschwinden lassen. Der Gürtel war eng zu schlingen und zu einer klaren Schleife zu binden. »Die Schleife darf nicht hoch stehen, das macht man nur bei Leichen, sondern längs«, sagte Sachiko. Ich blicke uns an: Miguel, Sachiko, Kenji. Den Japanern stand die traditionelle Tracht viel besser als westliche Kleidung wie Anzug oder Jeans. Wir Westler haben dagegen nicht ganz die richtigen Proportionen dafür.
Das Essen bauten die Kimono-Mädchen im Zimmer auf. Für jeden von uns gab es genau 17 verschiedene Schälchen und Tellerchen mit kleinen Kostbarkeiten. Auf dem Tisch simmerten zudem Töpfe über kleinen Brennern. Auf ihren Internetseiten stellen Ryokans meist viele Bilder ihres tollen Essens aus und nur wenige mit den immer gleichen Zimmern. Später würden andere Kimono-Frauen die Futons für uns ausrollen. Aber vorher gingen wir baden.
Das Hotel bot vier Badelandschaften an, die je nach Uhrzeit für Frauen oder für Männer offen standen. Der größere Baderaum war ringsum mit verschiedenen Steinen in allen Schattierungen von Braun und Grau ausgekleidet. Die Tafel am Eingang pries an, dass die besonderen Steine aus allen Landesteilen mit dem Vulkanwasser reagierten, um besondere Heilkraft zu entfalten.
Jede Beschreibung Japans, jeder Reiseführer und jede Hausordnung am Eingang eines Münzbads bestätigt es: Das Wichtigste
ist, sich gründlich zu waschen, bevor es ins Wasser geht. Ich saß meistens zehn Minuten und länger vor dem Wasserhahn auf einem Höckerchen und wusch und schrubbte mich. Viermal seifte ich mich mit dem kleinen Handtuch vom Haaransatz bis zwischen die Zehen gut sichtbar ein. Jedes Mal blieb ich dann mit dem Schaum am Körper möglichst lange sitzen, um mich allen eingeseift zu zeigen. In der Zwischenzeit beschäftigte ich mich damit, das Minihandtuch in der kleinen Schüssel auszuwaschen.
Ich hatte immer das Gefühl, die Waschzeremonie so lang hinzuziehen wie menschenmöglich, doch jedes Mal gab es einen älteren Herren, der schon an der Waschstelle saß, als ich kam, und noch dasaß, wenn ich aufgab und Richtung Quellwasser zog. Diesmal hockte da einer, der unter den Zehennägeln nach Schmutz suchte und sich dann die Zähne putzte, und das alles sehr gemächlich.
Kenji dagegen marschierte am nächsten Nachmittag in den Badebereich, ignorierte die Waschwasserhähne, spülte seinen Körper nur mit zwei Kellen Wasser ab und stieg ins Gemeinschaftsbecken. Ich war entsetzt, zog mich auf einen Waschhocker zurück und machte die Seifenzeremonie noch gründlicher und auffälliger als sonst. Es sollte nicht der leiseste Verdacht auf mich fallen. Eine Viertelstunde später glitt ich neben Kenji ins Wasser und legte mir mein gut ausgewaschenes Minihandtuch auf den Kopf. »Du hast dich gar nicht abgewaschen!«, warf ich ihm vor.
»Wieso, wir waren erst vor ein paar Stunden am Berg in den heißen Quellen. Da reicht es doch, wenn ich ein paar Kleiderfussel vom Körper wasche.«
Ich war etwas beleidigt. Als ob ich jedes Mal dreckig gewesen
wäre, wenn ich mich vor dem Baden noch viermal gewaschen hatte.
Aber wenn ein Ausländer da reinmarschieren und einfach ins Wasser gehen
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