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Tokio Vice

Titel: Tokio Vice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jake Adelstein
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interessiert denn so was? Als ich mich zum ersten Mal für Sex bezahlen ließ, habe ich begriffen, dass ich meinen Lebensunterhalt viel lieber liegend als im Stehen verdienen will. 50 000 Yen – selbst wenn ich jeden Tag 48 Stunden lang Englisch unterrichten würde, könnte ich nicht so viel verdienen.«
    Damit hatte sie natürlich recht.
    »Adelstein«, fuhr sie fort und tippte mir mit ihren Essstäbchen auf den Kopf, damit ich aufpasste, »du reißt dir den Arsch für Kleingeld auf. Und ich verdiene 100 Dollar pro Minute. Weißt du, warum?«
    »Keine Ahnung.«
    »Weil die meisten Japaner nur zwei Minuten durchhalten. Vielleicht jagt ihnen die große Gaijin -Frau ja Angst ein. Ich weiß nicht. Sie sind drin und fertig, bevor man es richtig merkt. Was mich verrückt macht, sind die Kerle, die nur reden wollen. Wie dieser Typ vom Rundfunk. Er ist nie mit Sex zufrieden. Ich wollte, er wäre es, weil ich dann nicht das Kindermädchen und die Psychiaterin und die Englischlehrerin spielen müsste. Wenn ich ihn so labern höre, denke ich nur: ›Verdammt, lass uns ficken, damit ich es hinter mir habe und dich loswerde.‹ Manchmal halte ich es einfach nicht mehr aus, dann öffne ich seinen Reißverschluss, hole seinen Schwanz heraus und blase ihm einen. Die meisten Männer halten dabei den Mund. Du wahrscheinlich auch, obwohl du sonst fast nie den Mund hältst.«
    Ich lachte. »Du hast natürlich recht. Was das Einkommen pro Minute anbelangt, kann ich mit dir nicht mithalten. Aber deprimiert dich das Ganze nicht ein bisschen?«
    »Doch, aber dafür habe ich ja das Kokain. Ein bisschen davon, und schon bin ich bereit zum Blasen.«
    Darüber konnte ich nicht lachen. »Um Himmels willen, Helena«, rief ich, »du bist doch zu klug, um diesen Dreck zu nehmen. Was ist nur los mit dir?«
    Sie zuckte mit den Schultern, legte den Kopf schräg und zwinkerte mir zu. »Na ja, es macht den Sex soooo viel besser. Und die Arbeit ist so langweilig. Ich brauche etwas, um den Tag durchzustehen. Manchmal auch die Nacht.«
    »Willst du so enden wie diese armen Bastarde voriges Jahr? Erinnerst du dich an die Typen, die dachten, dass sie Koks nehmen und stattdessen eine Überdosis reines Heroin konsumierten? Du kannst dich mit diesem Zeug umbringen. Das weißt du doch, oder?«
    »Ja, ich weiß. Ich habe die Übersetzung deines Artikels gelesen. Du hast ihn mir geschickt.«
    Ich hielt ihr noch eine Weile eine Standpauke, denn ich war wirklich wütend. Sie schmollte ein bisschen und senkte den Blick.
    »Ich wusste, dass du sauer auf mich sein würdest. Tut mir leid.«
    »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Hör einfach auf, diesen Dreck zu nehmen.«
    »Ich weiß. Ich höre ja auf, ehrlich.«
    Ich wechselte das Thema. Wir unterhielten uns über The Gate , die Übersetzung eines Romans von Natsume Soseki, den ich ihr zum Lesen gegeben hatte. Dann lud sie mich zu einem Schlummertrunk in ihre Wohnung ein.
    Sie wohnte in der Nähe von Shibuya. Zuerst nahm ich ihr allerdings das Versprechen ab, vorsichtig zu fahren. Sie versprach es, aber vermutlich hätte ich sie fragen sollen, was genau sie darunter verstand, bevor ich die Maschine wieder bestieg.
    Als wir bei ihr waren, steckte sie ein Album von Death Cab for Cutie in ihre Stereoanlage, und wir setzten uns auf das Sofa, um zu reden. Sie zündete ein paar Kerzen an, goss australischen Rotwein in Kaffeetassen und reichte mir eine Tasse. Dann legte sie ihre Beine auf meine und schmiegte sich an mich. Ich hatte nichts dagegen, legte einen Arm um ihre Schulter und war sehr zufrieden. Einen ganzen Song lang blieben wir so sitzen. Und es war einer der wenigen Momente in den letzten paar Jahren, in denen ich das Gefühl hatte, im Frieden mit der Welt zu leben.
    »Wie geht es dir eigentlich wirklich, Helena? Ich habe gehört, dass du dich von deinem Verlobten getrennt hast? Was ist denn passiert? Willst du darüber reden?«
    »Verdammt, nein. Zur Hölle mit diesem elenden Dreckskerl.«
    »Ich dachte nur, dass du vielleicht darüber reden willst. Ich hör dir gerne zu.«
    »Ehrlich?«
    »Klar.«
    Dann erzählte sie mir, was passiert war. Sie war mit Carl zusammen gewesen, der für eine der ausländischen Firmen arbeitete, die Büros in Japan eröffnet hatten. Er sah gut aus, liebte Windsurfen und schien Helena wirklich gern zu haben. Sie waren eine ganze Weile verlobt gewesen.
    Carl war misstrauisch geworden, nachdem er in ihrer Brieftasche die Karte des Sexclubs gefunden hatte, in dem sie arbeitete.

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