Tokio Vice
Daraufhin hatte er einen seiner japanischen Kollegen gebeten, sich diesen Club anzusehen, da er als Ausländer keinen Zutritt hatte.
»Na ja« – Helena fiel es schwer, weiterzusprechen –, »sein japanischer Kumpel ist in den Club gekommen und hat mich gefickt. Und er hat das Ganze mit der Videokamera aufgenommen. Ist das nicht krank? Ich meine, das ist doch pervers. Es war so verdammt demütigend. Carl hätte es auch herausfinden können, ohne mir so nachzuspionieren. Was hat er denn geglaubt, woher das Geld für unsere Reisen nach Bali stammt? Ich habe doch alles bezahlt, und das geht wohl kaum mit dem Gehalt einer Englischlehrerin.«
»Und wie ging es weiter?«
»Eines Nachts kam ich von der Arbeit nach Hause, da wartete er auf mich vor der Wohnung. Zuerst lächelte er und benahm sich normal. Ich hatte keine Ahnung. Dann meinte er, dass er da etwas habe, was ich mir anschauen solle, und steckte das Video in den Player. Mein Gott, es war furchtbar. Ich versuchte, es ihm zu erklären.«
Sie machte eine Pause und trank eine Tasse Wein in einem Zug leer. Ich goss nach. Sie wandte sich von mir ab und starrte die Wand an.
»Er war echt wütend, überschüttete mich mit Beleidigungen und schlug mich. Mehrere Male. Zum Schluss stieß er mich aufs Bett, zog meinen Rock hoch, streifte meinen Slip herunter und fickte mich. Dabei nannte er mich immer wieder eine Hure. Als er fertig war, ging er. Und das war’s.«
Eigentlich kannte ich die Antwort auf die Frage schon, die ich stellen wollte, aber ich stotterte ein wenig herum. Da unterbrach sie mich und meinte: »Na ja, ich kam nicht gerade dazu, eine Einwilligungserklärung zu unterschreiben. Angenehm war das nicht.«
Sie begann ein wenig zu weinen, lachte aber auch gleichzeitig. »Weißt du, er hat zwischendurch geschluchzt. Was für ein Weichei! Ich glaube, er hat mich wirklich geliebt. Ich habe auch geweint, denn es hat wehgetan, sehr wehgetan.«
Manchmal ist es am besten, einfach den Mund zu halten. Meist rede ich auch in solchen Momenten, aber diesmal nicht. Ich umarmte sie nur etwas fester, strich ihr übers Haar und hielt ihre Hand. Als die CD zu Ende war, hörte ich nur noch den Straßenverkehr und Helenas leises Weinen. Ich hielt sie lange fest.
Am nächsten Tag trafen wir uns in einem »Starbucks« zum Kaffee. Ich hatte einige gute Spuren aufgetan und wollte nun weiterkommen. In einem eleganten und extrem teuren Wohnblock in den Roppongi Hills Residences hatte eine angeblich gemeinnützige Gruppe namens International Entertainment Association (IEA) ihre Büros. Eigentlich bestand ihre Aufgabe darin, zwischenstaatliche Freundschaften zu fördern, aber in Wahrheit besorgte sie Ausländerinnen für den Sexhandel. Einer der Angestellten war vorbestraft, weil er illegale Arbeitskräfte beschäftigt hatte – ausländische Prostituierte. Das war wohl kaum gemeinnützig zu nennen.
Ich bat Helena, sich dort umzusehen. Sie hatte gute Kontakte und kannte jeden in Roppongi. Ich riet ihr auch, vorsichtig zu sein, doch sie schien mir gar nicht zuzuhören, war richtig aufgeregt und wollte mir unbedingt helfen.
»Hör zu«, sagte ich und hob einen Finger. »Wenn du etwas erfährst, ist das großartig. Aber schnüffle nicht zu viel herum. Denn ich weiß nicht viel über die Leute in dieser Gruppe, nur dass sie nicht besonders nett sind.«
»Verstanden, ich werde vorsichtig sein.«
»Frag einfach ein bisschen herum. Wenn du aber den Eindruck hast, dass du in Gefahr bist, dann hör auf damit. Meine Nummer hast du. Ruf mich jederzeit an – in den Staaten oder hier.«
»Ich verspreche dir, dass ich aufpasse.«
»Okay. Gut.«
Dann fragte ich sie, wie lange sie noch in Japan bleiben wolle. Sie sagte, dass sie im Frühjahr nach Australien gehen wolle, dort habe sie ein Haus gekauft. Vielleicht würde sie wieder aufs College gehen und »Literatur oder etwas ähnlich Nutzloses« studieren.
Ich stand auf, überließ ihr einiges Material und wollte gehen. Da tippte sie mich auf die Schulter, streckte die Arme aus und schüttelte den Po ein wenig.
»Bekomme ich denn keine Umarmung mit auf den Weg?«
»Klar doch.«
Im März rief sie mich dann in den Staaten an. Sie hatte sich umgehört und ging davon aus, dass die International Entertainment Association eine Tarnorganisation der Goto-gumi war.
Ich ließ vor Schreck fast den Hörer fallen.
»Dann hör sofort auf mit den Nachforschungen!«, rief ich. Aber sie war eingeschnappt, weil sie wohl dachte, dass ich
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