Tokio Vice
sein. Es ist schon in Ordnung.«
Also stellte ich Mochizuki ein. Glücklicherweise hatte ich etwas Geld zurückgelegt, das ich von einer kalifornischen Firma für Recherchen über die Spielhallen-Industrie bekommen hatte. Im Grund hatte ich keine andere Wahl.
Im Juli war der Sammelband druckreif. Mochizuki war schon einige Zeit bei mir. Ich wollte seine Meinung hören, ehe ich die endgültige Version einreichte, denn er kannte Goto recht gut und schien mir der geeignete Ratgeber.
Nachdem er das Manuskript gelesen hatte, sah er nicht besonders glücklich aus. Da er sehr höflich ist, brauchte er einige Sekunden, um aussprechen zu können, was ihm durch den Kopf ging.
»Jake, wenn Sie das schreiben, versucht er womöglich, uns beide umzubringen. Zuerst Sie natürlich, denn er hasst Sie wirklich. Niemand wird es Ihnen verübeln, wenn Sie es nicht veröffentlichen. Sie könnten einfach das Land verlassen.«
Mochizuki holte eine Zigarette aus seiner Manteltasche, reichte sie mir und gab mir Feuer.
Es war ein seltsames Gefühl, sich von einem ehemaligen Yakuza Zigaretten anzünden und morgens Kaffee kochen zu lassen.
Aber gut, er war eben kein Gangsterboss mehr und arbeitete für mich. Ich würde lieber sagen, er habe mit mir gearbeitet, aber das würde ihm nicht gefallen. Da ich ihn bezahlte, war ich sein Chef. Er war 50 Jahre alt, ich 39, er war also älter und viel härter als ich, aber er befolgte meine Anweisungen. Ich verstand diesen Yakuza-Soldaten nie ganz, aber ich schätzte seine Arbeitshaltung.
Wie gewöhnlich trug er ein langärmliges Hemd, das seine Tattoos bedeckte. Der fehlende Finger an seiner linken Hand ließ sich allerdings nicht verbergen. Er hätte eigentlich nie Yakuza werden sollen, sondern Künstler. Tatsächlich war er einmal Künstler gewesen, und zwar kein schlechter. Aber dann hatte er sich mit den falschen Leuten eingelassen und Schulden angehäuft. So war er bei der Yakuza gelandet. Als sein Untergebener einen Auftrag vermasselte und er sich einen Teil seines kleinen Fingers abhackte, um Buße und Reue zu bekunden, war eine Rückkehr zur Kunst so gut wie unmöglich – dafür hätte er alle zehn Finger gebraucht. Später drängte ihn die Yakuza aus der Organisation – wegen Ungehorsams. Die zunehmende Geldgier der Führung gefiel ihm nicht, denn er war altmodisch, ein Relikt aus einer Zeit, als alle Yakuza noch eine Art Ehrenkodex hatten, so fragwürdig dieser in moralischer Hinsicht auch gewesen sein mochte. Vor einem Jahr hatte er 100 Gangster befehligt, jetzt zündete er einem verrückten Juden Zigaretten an und riskierte als Bodyguard 24 Stunden am Tag sein Leben.
Wir waren wohl beide Ausgestoßene, jeder auf seine Art. Mit Sicherheit waren wir beide nicht dort gelandet, wo wir wollten. Ich sah Mochizuki an, der auf meine Antwort wartete.
»Ich werde es zu tun. Verdammt, er bringt mich sowieso um. Er wartet doch nur darauf, dass der aufgewirbelte Staub sich legt. Wenn ich die Chance habe, den Kerl endgültig zu ruinieren und vielleicht seinen Rauswurf aus der Yamaguchi-gumi zu erreichen, dann möchte ich diese Chance auch nutzen.«
»Dann halte ich Ihnen den Rücken frei.«
»Das weiß ich zu schätzen, aber was haben Sie davon?«
»Ein neues Leben. Ich arbeite gerne für Sie.«
»Aber ich zahle Ihnen einen kümmerlichen Lohn.«
»Das stimmt.«
»Wollen Sie nicht wieder Gangsterboss werden, wenn sich die Lage in Ihrer alten Organisation beruhigt hat?«
»Nein. Ich denke jetzt anders. Die letzten paar Monate waren sehr angenehm. Ich hatte endlich Zeit für meinen Sohn und meine Frau. Und meine Arbeit gefällt mir. Außerdem muss ich mich nicht mehr ständig nach hinten abzusichern, wenn ich die Straße entlanggehe.«
»Ich kann Sie nur bis zum Jahresende bezahlen.«
»Dann suche ich mir eben einen neuen Job.«
»Danke. Was raten Sie mir?«
»Streichen Sie das Wort ›betrogen‹. Das ist ein zu emotionales Wort. Wenn Sie sagen, Goto habe die Yamaguchi-gumi betrogen, schütten Sie Öl ins Feuer. Suchen Sie ein besseres Wort.«
Ich befolgte seinen Rat.
Als der Tag der Veröffentlichung nahte, bat er mich um ein Gespräch.
Wir saßen im Erdgeschoss, rauchten Zigaretten und hörten eine unbekannte japanische Rockband, die er mochte.
»Jake«, sagte er auf einmal, »eines verspreche ich Ihnen. Wenn Ihnen etwas zustößt, finde ich heraus, wer das war, und bringe ihn um.«
»Nein, das würde ich nie von Ihnen verlangen, und Sie dürfen es auch nicht tun.«
»
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