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Tokio Vice

Titel: Tokio Vice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jake Adelstein
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Artikelsammlungen, eingeteilt in Kategorien wie Raub, Mord, Körperverletzung, Brandstiftung, Drogen, Organisiertes Verbrechen, Preisabsprachen, Verkehrsunfälle und Taschendiebstahl.
    »Dies sind Beispiele für Artikel, die ihr als Polizeireporter schreiben werdet«, erklärte Nakajima. »Schaut sie euch genau an und prägt euch den Stil ein. Ich erwarte, dass ihr das in einer Woche auch könnt. Hier habt ihr alles, was ihr braucht, um einen Artikel zu schreiben. Also, an die Arbeit!«
    Das war der Anfang und das Ende unserer offiziellen Ausbildung zu Polizeireportern.
    Der nächste Punkt auf der Tagesordnung war die Aufzählung unserer täglichen Pflichten neben dem Schreiben. Wenn wir beispielsweise abends ins Büro kamen, mussten wir die Essensbestellungen der höherrangigen Kollegen entgegennehmen. Während der Nachtschicht mussten wir das Archiv auf den neuesten Stand bringen.
    Die Regeln für das Archiv waren unglaublich kompliziert. Es war genau vorgeschrieben, wo wir das Datum eines Artikels notieren mussten, wie wir aufschreiben sollten, aus welcher Ausgabe er stammte, wo wir ihn abheften und eine Kopie ablegen mussten und mit welchem Vermerk Artikel der Landesausgabe und Titelstorys zu versehen waren. Das Handbuch für den Umgang mit dem Archiv war erheblich dicker als das Handbuch für Polizeireporter.
    Zu unseren weiteren Pflichten gehörte auch das Schreiben von Minibiografien für eine Spalte mit dem Titel »Der kleine König unseres Hauses« in der kostenlosen Lokalzeitung des Verlages. Im Wesentlichen handelte es sich dabei um Geburtsanzeigen. Damit wir Erfahrungen mit Nachrichten aller Art sammelten, sollten wir auch die Ergebnisse lokaler Sportveranstaltungen notieren, Statistiken führen und Wettervorhersagen schreiben. Das alles erforderte natürlich unterschiedlichste Schreibstile.
    Dann bekamen wir einen Monatsplan, aus dem hervorging, wer Frühschicht, Spätschicht oder Nachtschicht hatte und wer für den Sport zuständig war. Im Terminkalender einiger älterer Kollegen sah ich kleine Quadrate mit diagonalen Linien. Als ich fragte, was das sei, antwortete Nakajima:
    »Das sind die Urlaubstage.«
    »Aber bei uns fehlen diese Kästchen«, meinte ich.
    »Das liegt daran, dass ihr keinen Urlaub habt«, antwortete er.
    Gegen ein Uhr nachts erhielten wir einen Intensivkurs im Schreiben von Sportnachrichten. Plötzlich kam ein Anruf aus dem Polizeipresseclub. In Tsurugashima war ein Mann erstochen in einem Kombiwagen aufgefunden worden. Die Nachricht stammte von der Polizei der Präfektur Saitama, die anscheinend die Mordkommission einsetzen wollte.
    Aufgeregt rief Ono: »Los, ihr Flaschen, packt eure Notizblöcke, eure Kameras und macht euch auf die Socken.« Morde waren in Saitama wie überall in Japan immer eine wichtige Nachricht, die landesweit von Bedeutung war – was viel über den Sicherheitsstandard eines Landes aussagt. Eine Ausnahme war es nur, wenn das Opfer ein Chinese, ein Yakuza, ein Obdachloser oder ein farbiger Ausländer war. Dann sank der Nachrichtenwert um 50 Prozent.
    Ono erklärte das weitere Vorgehen: »Wir fahren an den Schauplatz des Verbrechens und machen Interviews. Ihr müsst alles über den Toten herausfinden – wer er war, wann man ihn zuletzt gesehen hat, wer an seinem Tod interessiert sein könnte – und ein Foto ergattern. Wir brauchen ein Porträtfoto. Es ist mir egal, woher ihr es bekommt, aber bringt es mit. Wenn ihr irgendetwas Interessantes findet, dann informiert den Reporter im Presseclub oder das Urawa-Büro. Los jetzt.«
    Also brachen wir auf. Da neue Mitarbeiter in den ersten sechs Monaten noch kein Auto fahren durften, fuhren zwei von uns mit Yamamoto und anderen Reportern mit und die anderen beiden riefen ein Taxi.
    Die Fahrt von Urawa nach Tsurugashima dauerte lang. Die Ortspolizei von Nishi Iruma hatte mit den Ermittlungen bereits begonnen und das Dezernat eins – für Mord und Gewaltverbrechen – des Polizeihauptquartiers der Präfektur hatte seinen Chef geschickt. Als ich am Tatort eintraf, brachte mich Yamamoto auf den neuesten Stand:
    In der Nacht zuvor hatte die Ehefrau so gegen 23 Uhr den 41-jährigen Ryu Machida tot in einem Kombiwagen gefunden, der mitten in einem Industriegebiet stand. Er lag auf dem Rücksitz und hatte eine Stichwunde in der linken Brustseite. Offenbar war er verblutet. Machida war drei Tage vorher auf dem Weg zur Arbeit zuletzt gesehen worden. Da er nicht nach Hause gekommen war, hatte seine Familie bei der Polizei

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