Tokio Vice
eine Vermisstenanzeige aufgegeben und schließlich um eine Suchaktion gebeten.
Ich war aufgeregt, endlich war ich mit offizieller Yomiuri -Visitenkarte und -Armband vor Ort. Aber der Tatort war abgeriegelt. Die Polizei hatte ein großes Gebiet um das Auto herum mit gelbem Band umzäunt, und auf einem Schild stand »Betreten verboten«. Es waren keine Menschen zu sehen. Pflichtbewusst ging ich herum, klopfte an Türen und versuchte, jemanden zu finden, der etwas gesehen hatte. Doch die meisten Leute blieben stumm vor Erstaunen, als sie mein weißes Gesicht sahen, und sagten dann, wenn sie sich erholt hatten, nur: »Nein.«
»The Face« und Chappy hatten auch nicht mehr Glück.
In einer Fabrik für Autoteile stellte ich mich einem älteren Angestellten als Jake Adelstein von der Yomiuri Shimbun vor. Seine Reaktion sollte ich, wie sich bald herausstellen sollte, noch öfters erleben:
»Ich brauche nichts.«
»Aber ich verkaufe nichts.«
»Ich habe schon eine Zeitung abonniert.«
»Ich verkaufe keine Zeitungen. Ich bin Reporter der Yomiuri .«
»Ein Reporter?«
»Ja, ein Reporter.« Dann überreichte ich ihm meine Visitenkarte.
»Hmmm.« Er las die Karte dreimal. »Aber Sie sind ein gaijin , nicht wahr?«
»Ja, ich bin ein Gaijin -Reporter, der für die Yomiuri arbeitet.«
»Und warum sind Sie hier?«
Solche oder so ähnliche Szenen erlebte ich mehrmals, weil mich alle zunächst für einen Zeitungsjungen hielten. Ein Mann in mittlerem Alter, der im Pullover an die Tür kam, beklagte sich sogar darüber, dass seine Morgenzeitung nicht rechtzeitig zugestellt wurde.
Also beschloss ich, meine Taktik zu ändern. »Hallo«, begann ich, »ich bin Reporter bei der Yomiuri Shimbun und arbeite an einem
Artikel. Hier ist meine Karte. Es tut mir leid, dass ich Ausländer bin und Ihre Zeit in Anspruch nehmen muss, aber ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.«
Das beschleunigte zwar den ganzen Prozess, aber die Ergebnisse waren immer noch gleich null. Doch meine Kollegen hatten auch nicht mehr Erfolg. Also wurden wir in die Firma gechickt, in der das Opfer gearbeitet hatte. Dort hatten sich bereits zahlreiche Reporter der anderen Medien versammelt. Da wir kurz nach Feierabend eintrafen, strömten die Arbeiter aus dem Gebäude, aber man hatte ihnen wohl verboten, mit der Presse zu reden, denn wir stießen auf eine Mauer des Schweigens.
Ich lief noch etwas umher, um vielleicht doch noch fündig zu werden, und stieß auf einen Mann in einem grünen Overall, der einen LKW belud. Als ich ihn grüßte, blinzelte er nicht einmal, als er mein unjapanisches Gesicht sah. Ich fragte ihn, ob jemand einen Grund gehabt haben könnte, seinen Kollegen umzubringen.
»Na ja, er hatte eine Affäre mit einer Kollegin«, antwortete er. »Und das wussten alle. Es könnte also seine Frau oder vielleicht seine
Geliebte gewesen sein. Wollen Sie ihren Namen wissen?«
Natürlich wollte ich. Als ich Schwierigkeiten hatte, den Namen richtig aufzuschreiben, nahm er mir den Notizblock aus der Hand und notierte ihn. Ich dankte ihm überschwänglich, aber er winkte ab.
»Sie haben nichts von mir gehört, und ich habe nie mit Ihnen
gesprochen.«
»Alles klar.«
»Yoshiyama, die Geliebte, ist seit ein paar Tagen nicht mehr zur
Arbeit gekommen. Ende der Geschichte.«
Ich rief sofort Yamamoto von einem öffentlichen Telefon aus an. Aber ich war so aufgeregt, dass er mich zuerst nicht verstand. Nachdem ich mich etwas beruhigt hatte, ließ er sich alle Einzelheiten berichten. Dann wies er mich an, mit Yoshihara an der Sache weiterzuarbeiten.
Zunächst riefen wir jede Frau namens Yoshiyama, die wir im Telefonbuch finden konnten, an. Yoshihara stieß dann endlich auf die Richtige, denn ein Mann gab an, sie könne nicht ans Telefon kommen, weil sie gerade mit der Polizei rede. Volltreffer!
Unser nächster Befehl lautete, zur Pressekonferenz ins Revier der Polizei von Nishi Iruma zu gehen. Kanda, der Lokalreporter, war schon dort und sprach mit dem stellvertretenden Polizeichef. Junge Reporter der Asahi und von der Lokalzeitung in Saitama schwärmten herum, aber die dickste Menschentraube stand am Kaffeeautomaten.
Kanda hatte bereits einen Becher Kaffee in der Hand. Er war ein erfahrener Reporter, fleißig und aggressiv. Er trug eine Metallrandbrille, die den größten Teil seines Gesichts verdeckte, und hatte
einen langen, fettigen Pony, der ihm über die Brille hing. Er rief mich zum Tisch des Polizeibeamten und stellte uns vor. Nachdem wir
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