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Tokio Vice

Titel: Tokio Vice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jake Adelstein
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ich von einem interessanten Fall Wind bekommen, den niederrangigen Beamten finden, der ihn bearbeitete, sein Vertrauen gewinnen, ihm seine Informationen entlocken und dann in der Hierarchie nach oben wandern, ohne dass die hohen Tiere merkten, dass ich unten bereits Informationen erhalten hatte.
    Manchmal wartete ich stundenlang, bis ein Informant nach Hause kam, und konnte nur hoffen, dass er während eines kurzen Gesprächs ein paar verwertbare Krümel ausspucken würde. Wenn es sich um einen großen Fall handelte, traf ich den Informanten vielleicht tagelang nicht zu Hause an. 1993 waren solche Kontakte noch schwieriger, weil die meisten Leute kein Handy besaßen. Ich brauchte also immer auch Glück, um ihn am Arbeitsplatz, zu Hause oder irgendwo sonst anzutreffen.
    Zudem musste ich mir von einer dritten Partei bestätigen lassen, dass ich über alle Fakten verfügte, und ich musste meinen Redakteur davon überzeugen, dass es kein Risiko war, einen Artikel zu veröffentlichen, ohne dass wir uns auf eine offizielle Pressemitteilung berufen konnten. Manchmal musste ich zu Verdächtigen nach Hause fahren, um zu überprüfen, ob sie verhaftet worden waren; denn in Japan werden die entsprechenden Namen nicht veröffentlicht. Wenn ich dann bereit war, den Artikel zu schreiben, und den Polizeichef darüber informierte, gab er oft eilig eine Pressemitteilung heraus und machte damit meinen Knüller – und alle meine Bemühungen – zunichte.
    Trotzdem hatte ich Erfolg, und zwar auf die altmodische Weise:
Erpressung.
    Jeden Abend tippte ich meist langweilige Sportberichte, Geburtsanzeigen und Todesnachrichten und nahm die Essensbestellungen meiner Vorgesetzten entgegen. Dazwischen stieg ich auf mein Fahrrad, fuhr hinüber zum Polizeirevier Omiya und hing bei den Polizisten herum. Wenn sie nicht beschäftigt waren, setzte ich mich meist zu ihnen und wir plauderten ein wenig. Wir tranken grünen Tee und unterhielten uns über Politik, frühere Fälle oder das Fernsehprogramm. Oft brachte ich ihnen auch Donuts mit, die wohl kaum zur üblichen Kost der japanischen Polizisten gehörten, ihnen aber zu schmecken schienen.
    Einer meiner Informanten, ein Bahnpolizist, erzählte mir von einem Berufstaschendieb, den man vor einigen Wochen geschnappt hatte und der zahlreiche Diebstähle gestanden hatte. Ich fand es erstaunlich, dass dieser Taschendieb jeden Tag im Anzug und mit Krawatte »zur Arbeit« ging – ein echter Profi also. Dass ähnliche Geschichten immer wieder in japanischen Nachrichten auftauchen, wusste ich damals noch nicht, daher erregte der Fall mein Interesse.
    Nachdem ich die Hinweise dreifach geprüft hatte, war ich bereit,
einen Artikel zu schreiben. Ich hatte alles, was ich brauchte – abgesehen von der Zahl der Straftaten, die er gestanden hatte, und die war die Grundlage für die Story. Da auch die Manager der Bahn sie nicht kannten, blieb mir nichts anderes übrig, als mit einem hohen Beamten der Polizei von Omiya zu reden, die den Fall bearbeitete.
    Der Polizeichef hieß Fuji. Er galt als hervorragender Polizist, vor allem bei Verhören, aber die Reporter fanden ihn durchweg unsympathisch. Er war groß und mager, hatte die übliche dicke Brille auf der Nase und trug immer zerknitterte graue Anzüge. Schon um zehn Uhr morgens hatte er dunkle Schatten unter seinen Augen.
    Ich glaube nicht, dass er mich sympathisch oder unsympathisch fand, sondern einfach nur lästig. Einer jener nervtötenden kleinen Reporter, die irgendwann von einem anderen Neuling abgelöst wurden, und in diesem Fall hoffentlich von einem Japaner. Ich sagte ihm, dass ich diesen Artikel schreiben wolle, und bat ihn um seine Zustimmung. Aber er ging nicht darauf ein.
    »Wenn Sie genug zu wissen glauben, dann schreiben Sie ihn. Aber ich wette, dass Sie nicht wissen, wie viele Taschen er geleert hat,
bevor wir ihn geschnappt haben. 10, 100, 200?«
    »Es waren also über 100?«
    »Sie wissen es nicht, oder?«
    »Nein.«
    »Tja, dann ist das wohl keine Story. Warum warten Sie nicht einfach eine Woche, dann bekommen Sie alle Details.«
    »Nur ich?«
    »Nein. Wir veröffentlichen die Ergebnisse in einer Woche, und Sie können dann alle Fragen stellen, die Sie haben.«
    »Aber dann ist es keine Exklusivmeldung mehr.«
    »Das ist nicht mein Problem. Ich mache nur den Papierkram, und meine Beamten ermitteln. Sobald wir alle Fakten beisammen haben, geben wir sie bekannt, und Sie schreiben darüber. Dann ist der Fall abgeschlossen.«
    Dann rief er einen

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