Tokio Vice
Kinderstube aus.
Das alles passte natürlich überhaupt nicht zur Yomiuri , und wahrscheinlich wurde er deshalb von den älteren Reportern besonders schikaniert, die sich über seine bloße Existenz ärgerten. Vielleicht hätte er bei der Asahi mehr Erfolg gehabt. Heute ist Naoki ein erfolgreicher Autor, der vier Romane veröffentlicht hat.
Yasushi Kouchi hatte den Spitznamen »Chappy« (Kerlchen). Er war 24 und hatte ein Diplom in Internationalen Beziehungen der Universität Tsukuba. Da er früh seine Haare verloren hatte, sah er älter aus, als er war. Er war einer der zuverlässigsten Menschen, die ich je kennengelernt habe, und seine rasche Auffassungsgabe hat mich einige Male gerettet.
Wir waren schon eine sonderbare Truppe: »The Face«, Chappy, Frenchie und der gaijin . Aber wir halfen einander vom ersten Tag an. Und ich war sehr, sehr bald auf ihre Hilfe angewiesen, denn ein unbedeutender Vorfall hätte meine Karriere schon früh beenden können.
Es war der Abend vor unserem ersten offiziellen Arbeitstag. In
einer Izakaya -Kneipe stieg eine Willkommensparty, und obwohl ich schrecklich erkältet war, ging ich hin, da das quasi Pflicht war.
Die ganze Belegschaft war da: Hara, der Chefredakteur mit der Figur eines Sumo-Ringers und einem tiefen, fröhlichen Lachen, in einem italienischen Anzug und mit einer Rolex. Er trug Dauerwelle, eine Brille, die der Nasenspitze gefährlich nahe saß, und seine Haare kringelten sich um die Ohren herum, sodass er fast ein wenig jüdisch aussah.
Ono, der nur leihweise im Urawa-Büro war, war der Chef der Polizeireporter in der Präfektur und somit der unmittelbare Vorgesetzte von uns Neulingen. Er sah wie eine kleinere Version von Hara aus, und seine Augen glichen Schlitzen in einem Kürbis. Ono war sehr stolz darauf, eigentlich Shakaibu -Reporter zu sein, und schon nach fünf Minuten hatte er klargestellt, dass er kein gewöhnlicher Regionalreporter war und nicht ewig hier in der Pampa bleiben würde.
Dann waren da noch Hayashi und Saito, die beiden Redakteure. Saito sprach einen solchen Dialekt, dass es sich anhörte, als fehlten ihm ein paar Zähne. Wenn er nüchtern war, konnte er sehr hilfsbereit sein. Hayashi war klein (und empfindlich, was diese Tatsache betraf) und galt als trinkfreudiger Sklaventreiber. Zum Glück für uns war er meist betrunken.
Shimizu, der für die Dateneingabe in den Computer verantwortlich war, hatte einen Schnurrbart, gelbe Zähne, keine Haare auf dem Kopf und gehörte zum unersetzlichen Inventar des Büros.
Yamamoto war hinter Ono die Nummer zwei unter den Polizeireportern und der Mann, der mein Mentor und bisweilen Folterer werden sollte. Sein Gesicht sah fast mongolisch aus. Nakajima, sein Handlanger, hatte ein langes Gesicht, keine Haare mehr und hatte auf dem College Naturwissenschaften als Hauptfach studiert. Er entsprach dem klassischen Bild eines Wissenschaftlers: kühl, analytisch, trocken. Aber er war besser gekleidet als alle anderen.
Und schließlich Hojo, der Fotograf des Büros, dessen Nase so rot war und so viele geplatzte Blutgefäße aufwies, dass er Ire hätte sein können. Als Dienstältester durfte er ungestraft alles zu jedem sagen, und genau das tat er an diesem Abend.
Wir Neulinge mussten uns an den Tisch ganz hinten in der Kneipe stellen und uns vorstellen. Ono war der Erste, der unsere Becher mit Sake füllte, und danach verbrachten wir den Rest des Abends damit, seinen Becher zu füllen und dabei jedes Mal kampai (Prost) zu sagen. In Japan schenken Untergebene ihren Vorgesetzten Sake ein und nur gelegentlich erwidern Letztere den Gefallen.
Ono und Hara erzählten Geschichten aus dem Krieg, und ich versuchte, krank und angetrunken, dem Gespräch zu folgen. Plötzlich hob Hara sein Glas für einen Trinkspruch. Da der Sake leider meinen Schnupfen nicht geheilt hatte, bahnte sich mitten in Haras Toast auf einmal ein gewaltiger Niesanfall seinen Weg durch meine Nasenhöhlen und explodierte, bevor ich die Hand ans Gesicht führen konnte. Ein enormer Schleimball flog aus meiner Nase und streifte »The Face« und Chappy, ehe er sein Ziel traf: den arglosen Hara, meinen ersten Chef, der meine Zukunft in seinen Händen hielt.
Eine schreckliche Stille trat ein, die ewig zu dauern schien.
Dann schlug mir Chappy mit einer Zeitung auf den Kopf und johlte: »Jake, du bist wirklich ein Barbar!« Auch Yoshihara versetzte mir einen Hieb. Das brach das Eis, und alle lachten, auch Hara, der sich mit einer Serviette, die »The
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