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Tokio Vice

Titel: Tokio Vice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jake Adelstein
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Knistern der Haut. Sonst nichts. Dann redeten plötzlich alle durcheinander.
    Die Feuerwehr kam zwei Minuten später. Ein Sanitäter versuchte, dem Opfer den Puls zu fühlen, aber er versengte sich dabei die Finger und schrie vor Schmerz auf. Ein Kollege kam mit einem Stethoskop und setzte es dort auf, wo vermutlich die Brust gewesen war, dann erklärte er den Mann für tot und deckte ihn mit einer blauen Plane zu. Die Polizei war noch nicht eingetroffen.
    Ich rief im Büro an, erklärte, wo ich war, und begann dann, die Leute in der Menge zu befragen. Drei Kinder, die das Ganze mitbekommen hatten, erzählten mir alles. Der Mann, der einen blauen Arbeitsanzug getragen hatte, war mit einem roten Plastikkanister voller Kerosin im Korb in den Park geradelt. Er hatte angehalten, sich das Kerosin über den Kopf geschüttet und eine Schachtel Streichhölzer aus der Tasche geholt. Zuerst hatte er Schwierigkeiten, eines anzuzünden, weil die Hölzchen von Kerosin trieften. Als er endlich ein trockenes gefunden hatte, entzündete er es an einem Stein, führte es an die Brust und stand sofort in Flammen.
    Die Kinder überlegten noch, wie sie das Geräusch beschreiben konnten, das dabei entstanden war, der Selbstmord schien sie nicht im Geringsten aus der Fassung zu bringen.
    Als Nächstes sprach ich mit einem der Feuerwehrmänner. »Es ist furchtbar«, sagte er, »zu dieser Jahreszeit passiert das oft. Es sind Menschen, die Angst vor dem neuen Jahr haben. Für uns ist das immer ein anstrengender Feiertag.«
    »Ist das nicht ein sehr schmerzhafter Tod?«
    »Nein, normalerweise nicht, weil man das Bewusstsein verliert. Aber wenn man nicht sofort stirbt, wird es schrecklich. Dann erleidet man grausame Schmerzen, während der ganze Körper sich entzündet. Und schließlich stirbt man an Selbstvergiftung. Er hat es richtig
gemacht.«
    Dann wuchtete er die Leiche ins Heck eines Krankenwagens und wünschte mir ein gutes neues Jahr.
    Ich ging in das örtliche Polizeirevier, um mir die bekannten Fakten zu besorgen.
    Das Opfer war Hikoki Harasawa, 28 Jahre alt, geboren am 5. Januar. Für ihn hätte also nicht nur ein neues Jahr, sondern auch ein neues Lebensjahr begonnen. Er wohnte etwa fünf Minuten vom Park entfernt. Seine Nachbarn sagten aus, dass er seinen Arbeitsplatz verloren habe, als eine Fabrik für Autoteile geschlossen worden war. Er sei seit Monaten arbeitslos gewesen. Doch irgendwie konnte ich kaum glauben, dass ein Mann sich allein deshalb selbst anzündete. Erst später, als ich begann, mich mit dem Kreditwuchersystem der Yakuza zu befassen, fand ich heraus, was ihm wahrscheinlich den Rest gegeben hatte: hohe Schulden bei sehr gefährlichen Leuten.
    Als ich Yamamoto im Presseclub anrief, hatte er nur eine Frage:
»Ist der Mann berühmt?«
    Ich verneinte.
    »Dann lass gut sein.«

Das Handbuch für den perfekten Selbstmord
    Japaner glauben, dass es eine richtige Art und Weise gibt, zu leben, zu lieben, eine Frau zum Orgasmus zu bringen, sich den kleinen Finger abzuhacken, die Schuhe auszuziehen, eine Keule zu schwingen, einen Artikel über Mord zu schreiben, zu sterben – und sich selbst umzubringen. Es gibt den rechten Weg, den vollkommenen Weg für einfach alles.
    Der Respekt vor diesem Weg ist ein wesentlicher Bestandteil der japanischen Gesellschaft, die Handbücher schätzt und Regeln gerne genau befolgt. In der alten Zeit, bevor Bücher massenhaft gedruckt wurden, schrieb man solche Leitfäden auf Schriftrollen, und die Leute glaubten, kotodama , die Seele oder der Geist der Sprache, wohne in jedem Wort. Wer einen Gedanken ausspricht, haucht ihm Leben ein, und diese Wörter haben spirituelle Macht. Dieser Glaube verlieh dem geschriebenen und gesprochenen Wort eine fast mystische Bedeutung und förderte die Ehrfurcht vor dem geschriebenen Wort mehr als im Westen.
    Noch heute sind die Japaner von Handbüchern besessen. Vor einigen Jahren war der Ausdruck manual ningen – »Handbuchmenschen« – modern. Damit waren junge Japaner gemeint, die anscheinend gar nicht mehr selbstständig denken konnten. Der Ausdruck ging in die Umgangssprache ein und wird jetzt für einen Menschen benutzt, der nur Anweisungen befolgen kann und keine eigenen Ideen hat.
    Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass Handbücher wochenlang auf der Bestsellerliste stehen. Amazon Japan (www.amazon.co.jp) zählte auf seiner Website 9994 Handbücher auf, als ich dieses Kapitel schrieb.
    Der absolute Bestseller war ein Handbuch für Streitgespräche mit

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