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Tokio Vice

Titel: Tokio Vice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jake Adelstein
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korrekt. Und dieser Stoß war eines davon.
    Ohne nachzudenken drehte ich mich um, wehrte den Tritt ab und boxte Kimura voll auf den Brustkorb, sodass er umfiel. Der Stoß war wirklich gut gelungen, wie wenn man einen Tennisball genau an der richtigen Stelle trifft.
    Für einen älteren Mann war Kimura ziemlich geschmeidig. Er sprang wieder auf, packte mich, nahm mich in den Schwitzkasten und rang mich zu Boden. Inzwischen waren alle Mitglieder unserer Gruppe herbeigeeilt, um nachzusehen, was los war. Nachdem ich mich etwas befreit hatte, schlug ich Kimura gegen seinen Kehlkopf, und während er nach Luft schnappte, rollte ich mich auf ihn. Ich wollte ihm gerade in meiner benebelten Wut den Handteller auf die Nase knallen, als Odanaka, ein älterer Reporter und meist liebenswürdiger, etwas pummeliger Bursche, mich von Kimura herunterzog.
    Kimura hielt die Hand an seinen Hals und wollte sich erneut auf mich stürzen, aber einige Kollegen hielten ihn fest. Er stieß wüste Beschimpfungen aus.
    »He, du hast doch angefangen!«, schrie Odanaka ihn an. »Worüber beklagst du dich eigentlich? Solltest du nicht ein Vorbild sein?« Odanaka war einer der wenigen Leute, die sich auch für die jüngeren Reporter einsetzten. Man brauchte wirklich Mut, um einen Vorgesetzten in der Yomiuri -Hierarchie zurechtzuweisen.
    Jetzt mischte sich Saito ein und stupste Odanaka mit dem Zeigefinger an. »Halt den Mund. Lass sie doch kämpfen, das ist lustig.« Er grinste, als er die anderen mit einer Geste anwies, den vor Wut schäumenden Kimura loszulassen.
    »Was für ein Chef bist du eigentlich?«, rief Odanaka. »Du kannst doch nicht zulassen, dass ein älterer Kollege auf den Neulingen
herumhackt! Du solltest Kimura lieber eine Standpauke halten, du lächerlicher Zwerg!«
    Da versetzte Saito ihm einen Schwinger, und Odanaka hätte ihn fast am Kiefer getroffen. Die Menge teilte sich jetzt in vier Gruppen auf: Eine hielt Kimura fest, eine Saito, eine beschützte mich und eine hinderte Odanaka daran, Saito zusammenzuschlagen.
    Schließlich ging ich mit Yamamoto und ein paar anderen nach Hause. Unterwegs aßen wir noch in einem Fastfood-Restaurant eine Schüssel Reis mit Rindfleisch. Natürlich machte ich mir Sorgen. Würde ich womöglich deswegen meinen Job verlieren?
    Doch Yamamoto versicherte mir, dass ich nichts zu befürchten hätte. »Darum geht es doch beim bonenkai . Morgen ist alles vergessen, nicht wirklich natürlich, aber niemand wird mehr darüber reden, also solltest du es auch nicht tun. Übrigens – ein guter Schlag. Wenn du so gut Artikel schreiben wie kämpfen könntest, wärst du nicht so eine Nervensäge.«
    Und er hatte recht. Am nächsten Tag taten alle so, als hätte es den vergangenen Abend nie gegeben. Auch mit Kimura sprach ich nie wieder darüber, und wir kamen sogar besser miteinander aus als vorher. Er begann mich freundschaftlich Jake-kun zu nennen, und ich hütete mich davor, mit ihm über Politik zu diskutieren.
    Ich dachte schon, dass mein Jahr ruhig enden würde, da kam der
29. Dezember, an dem Yamamoto und ich die Einzigen im Presseclub der Polizei von Saitama waren. Er las Comics auf dem Sofa, und ich tippte einen Artikel über Aloepflanzen, die im Winter blühten. Auf der Frequenz der Feuerwehr hörten wir von einem Brand in
Kawaguchi. Also sprang ich in ein Taxi und fuhr hin.
    Als ich ankam, war das Feuer bereits eingedämmt. Doch während ich mir Notizen machte, meldete das Funkgerät im Feuerwehrauto, dass ganz in der Nähe ein weiterer Brand ausgebrochen sei. Während die Feuerwehrmänner noch zu ihren Autos liefen, rannte ich schon voraus zu dem Park, in dem das Feuer ausgebrochen sein sollte.
    Als ich am Eingang des Parks um die Ecke bog, prallte ich fast auf eine Flammensäule in Menschengestalt. Ich kam ihr so nahe, dass meine Augenbrauen versengt wurden. Die Gestalt umkreiste langsam, wie ein Roboter eine Schaukel, während Leute aus der Nachbarschaft sie mit Wasser aus Eimern übergossen und mit Feuerlöschern besprühten. Eine Gruppe Kinder schaute dem Ganzen fasziniert zu. Schließlich brach die Gestalt zusammen und krümmte sich wie ein Fötus auf dem Boden. Es roch nach Kerosin, verbrannten Hotdogs und Hoisin-Soße.
    Der Mann atmete noch, er keuchte, und sein Brustkorb bewegte sich. Er holte noch fünfmal Luft, dann starb er.
    Eine Sekunde lang herrschte Totenstille. Sogar die Kinder schwiegen. Nur das Brummen des Verkehrs, der wenige Straße entfernt vorbeirollte, war zu hören und das

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