Tokio Vice
verfahren, fragen Sie einfach die Leute. Man kennt mich hier.«
Da ich mich tatsächlich nicht auskannte, verirrte ich mich natürlich und musste den Typen vor einem »Pink Salon«8 bitten, mir den Weg zu Kanekos Büro zu zeigen. Der Mann zeichnete mir höflich eine Karte und lud mich dann ein, hereinzukommen und das Angebot des Salons zu testen. Normalerweise waren Ausländer zwar nicht zugelassen, aber jeder Freund von Kaneko sei auch ein Freund des Salons. Außerdem, fügte er schief grinsend hinzu, lief das Geschäft nachmittags schlecht.
Ich lehnte ab, schließlich hatte ich etwas vor.
Kanekos Hauptquartier befand sich hinter einer Reihe von Sexclubs, einem vietnamesischen Restaurant und einem Tierpräparator. Es sah aus wie das Zweigbüro einer kleinen Baufirma. Auf der Glastür, die sich öffnete, als ich sie berührte, stand ein Firmenname. Im Empfangsbereich saß ein furchteinflößender Kerl auf dem Sofa und blätterte ein Pornomagazin durch. Er blickte auf, erhob sich, sagte kein Wort und klopfte an eine Tür.
Heraus kam Naoya Kaneko, »The Cat«. Er war etwa 1,70 Meter groß und vermutlich Ende 50. Seine Augen waren schmal, sein Haar oben etwas dünn, und er trug einen Kinnbart. Dunkler Anzug, weißes Hemd, Krawatte mit Paisleymuster, schwarze Slipper. Zwei Goldringe an der rechten Hand. Er wirkte eher wie ein Politiker als wie der Vizechef der Sumiyoshi-kai.
Wir schüttelten uns die Hände, und Kaneko zeigte auf eines der drei dunkelbraunen Ledersofas. Er setzte sich mir gegenüber. Der furchteinflößende Kerl ging hinaus und kam mit zwei Tassen grünem Tee in lackierten Näpfchen zurück – eine Geste, die Respekt ausdrücken soll.
Kaneko nippte an seinem Tee, ich ließ meinen stehen.
»Mögen Sie den Tee nicht?«
»Ich bin kein großer Teeliebhaber«, antwortete ich.
»Wie wäre es dann mit einem Kaffee?«
»Sehr gerne.«
Nun wandte er sich an den furchteinflößenden Kerl und bellte: »Bring ihm Kaffee.«
Irgendwie schien er erleichtert zu sein, als der Kaffee kam und ich die Tasse an die Lippen führte.
Als Nächstes begannen wir mit der formellen Vorstellung. Kaneko überreichte mir seine meishi (Visitenkarte), die ich in beide Hände nahm, wobei ich mich verbeugte. Dann gab ich ihm meine Karte, die er seinerseits mit beiden Händen und einer Verbeugung (nicht so tief wie meine) entgegennahm.
Dies ist ein allseits bekanntes Ritual: Man überreicht seine Karte mit einer Hand, um zu zeigen, dass man unbedeutend und bescheiden ist. Die Karte des anderen nimmt man dagegen mit beiden Händen entgegen, um damit auszudrücken, dass er eine wichtigere Persönlichkeit ist. Dann hebt man die Karte auf Augenhöhe, schaut sie genau an und wägt den jeweiligen gesellschaftlichen Rang gegeneinander ab, um in dem folgenden Gespräch den korrekten Ton zu treffen. Solange noch beide Gesprächspartner stehen, steckt man die Karte des jeweils anderen in sein Kartenetui. Es wäre eine grobe Beleidigung, die Karte zu falten, zu rollen oder sonst irgendwie zu beschädigen. Ich warf also einen Blick auf seinen Titel und die Schmuckbuchstaben, bevor ich die Karte geschickt in mein Visitenkartenetui schob. Er betrachtete meine Karte ebenfalls und steckte sie dann in sein Etui, das aus reinem Platin zu bestehen schien.
Dann plauderten wir eine Weile. Er fragte mich, wie ein Ausländer einen Job bei der Yomiuri Shimbun bekommen könne, und ich fasste mein bisheriges Leben in Japan zusammen.
»Ich wünschte, ich hätte das College besucht«, meinte er schließlich. »Dann wäre mein Leben anders verlaufen. Und ich hätte es tun können. Sie hatten Glück, dass Sie diese Chance bekommen haben.«
Ich stimmte zu, dann räusperte ich mich und fragte, warum er mich angerufen hatte.
»Ich hörte, Sie seien vertrauenswürdig und ein guter Reporter.«
»Wer hat das gesagt?«
»Das wäre ja Petzen. Sagen wir einfach, ich habe Gutes von Ihnen gehört. Es gibt da etwas, das ich wissen muss, und ich denke, dass Sie es herausfinden können. Und ich glaube auch, dass Sie es für sich behalten werden. Die Leute sagen, dass Sie wie ein Japaner sind, ein ehrenwerter Mann.«
»Das höre ich zum ersten Mal. Sind Sie sicher, dass ich der richtige gaijin bin?«
»Ganz sicher.«
Es kommt nicht oft vor, dass ein Yakuza einem Komplimente macht. Vermutlich waren sie gelogen, aber das störte mich in dem Moment nicht.
Also gab ich das Lob zurück. »Nun ja, und ich habe gehört, dass Sie, obwohl Sie ein Yakuza sind, kein
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