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Tokio Vice

Titel: Tokio Vice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jake Adelstein
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einen knallharten Wettbewerb ein, da jeder aus der sensationellen Geschichte einen Knüller machen will. Ich beneidete Yamamoto nicht um seinen Job.
    Pablo schien dagegen ganz in seinem Element zu sein. Er informierte mich mithilfe seiner Notizen rasch über den Sachverhalt. Die Polizei hatte zu diesem Zeitpunkt folgenden Kenntnisstand:
    An dem Tag, als Lucie verschwand, hatte man sie zuletzt in einem schwarzen Kostüm mit schwarzen Sandalen und schwarzer Handtasche gesehen. Ihre Brieftasche bestand aus braunem Alligatorleder und war in der Mitte gefaltet. Sie enthielt ein wenig Wechselgeld. Lucie trug ein Halsband mit einem herzförmigen Diamanten und eine quadratische Armani-Armbanduhr. Sie hatte fast anderthalb Jahre lang als Flugbegleiterin für British Airways gearbeitet. Ihr Vater hatte ihr nicht verboten, nach Japan zu gehen. Lucie hatte Geld, und er hatte ihr zusätzliches Geld geschickt. Sie hatte ihren Eltern gesagt, sie werde möglicherweise nach Japan gehen und sich mit Gelegenheitsjobs ein wenig Geld dazuverdienen. Lange wollte sie nicht bleiben.
    Die Tokioter Polizei glaubte nicht an die Geschichte mit der Sekte, sondern ging davon aus, dass ein Kunde aus dem Club Lucie entführt und umgebracht hatte. Die Beamten bezweifelten sehr, dass Akira Takagi existierte. Höchstwahrscheinlich hatte der Mörder diese Figur nur erfunden.
    Es wurden einige Polizisten des Morddezernats auf den Fall angesetzt, darunter Kripobeamte, die englisch sprachen – oder vorgaben, es sprechen zu können, obwohl sie es nicht konnten – und Erfahrung mit Sexualdelikten hatten. Pablo nannte mir die Namen der zuständigen Beamten. Einen von ihnen kannte ich bereits.
    »Also, was soll ich tun?«, fragte ich.
    Yamamoto antwortete zuerst. »Wir möchten, dass du mit Leuten im Gaijin- Haus sprichst, in dem sie wohnte, und dich in Roppongi nach Leuten umschaust, die sie gekannt haben, nach allen, die Kunden gewesen sein könnten. Du hast doch sicher einige Freunde dort, oder?«
    Eigentlich mied ich Roppongi wie die Pest, und die meisten meiner Freunde waren Japaner. Ich hing lieber in Kabukicho, Shibuya, Ebisu oder sogar Korea-Town herum. Da ich außerdem Sunao
hatte, hatte ich kein Interesse daran, ein Roppongi-Mädchen
aufzugabeln, um ein bisschen Sex ohne Verpflichtungen zu bekommen. Ich nahm auch keine Drogen und hatte kein Faible für großbrüstige ausländische Stripperinnen, Diskos oder teure Restaurants. Und ich hatte keine Lust, mich mit anderen gaijin zu verbrüdern. Roppongi war also nicht nur Pablo und Yamamoto fremd, sondern auch mir.
    Und das sagte ich Yamamoto auch.
    Der schüttelte nur den Kopf. »Du bist Amerikaner, aber du gehst nicht nach Roppongi und kennst die Baseballregeln nicht? Dann bist du kein richtiger Amerikaner. In Wirklichkeit bist du ein nordkoreanischer Spion, gib’s zu.«
    Pablo warf ein: »Sogar ich gehe ab und zu nach Roppongi, und ich bin Japaner.«
    »Pablo-san, du siehst ausländischer aus als ich. Darum nennen wir dich ja auch Pablo. Du gehörst nach Roppongi. Ich bin sicher, dass die philippinischen Mädchen dich lieben.«
    »Wirklich, Adelstein? Nun, wenigstens sehe ich nicht wie ein Iraner aus.«
    Während Pablo und ich uns noch weiter scherzhaft stritten, zog Yamamoto ein Bündel Geldscheine aus der Tasche und reichte es mir.
    »Wofür ist das denn?«
    »Ich gehe nicht oft nach Roppongi«, erklärte er. »Aber ich weiß, dass es ein teures Pflaster ist. Lass dir aber Quittungen geben, wenn möglich.«
    Ich hatte keine Ahnung, wo ich anfangen sollte, aber vermutlich war Lucies früherer Club der beste Startpunkt. Als ich dort ankam, hing an der Tür ein Schild »Wegen Renovierung geschlossen«. Kein besonders vielversprechender Start.
    Am 12. Juli gab die Tokioter Polizei bekannt, dass sie das Verschwinden von Lucie Blackman untersuche. Die japanischen Zeitungen reagierten zurückhaltend, aber in England erregte der Fall großes Aufsehen.
    Ich verbrachte jeden Abend in Roppongi und durchsuchte die Straße nach Leuten, die Lucie kannten. Dabei stellte ich mich so ungeschickt an, dass niemand mit mir reden wollte. Ich war schon so tief in die japanische Kultur eingetaucht, dass es mir schwerfiel, englisch zu sprechen. Wahrscheinlich klang ich wie ein Japaner, der versucht, englisch zu sprechen – oder wie ein Polizist.
    So um den 20. Juli 2000 erhielt die Polizei von Azabu einen sonderbaren Brief von Lucie Blackman, der in der Präfektur Chiba abgeschickt worden war, wo Lucie angeblich

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