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Tokio Vice

Titel: Tokio Vice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jake Adelstein
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arbeitet. Das verstehe ich auch. Woher soll sie denn wissen, ob ich die Wahrheit sage oder nur schauspielere? Manchmal weiß ich es selbst nicht genau. Hin und wieder wende ich wirklich jeden Trick an, um sie rumzukriegen, auch wenn ich das Mädchen wirklich gern habe.«
    Unser Gespräch wurde unterbrochen, als eine von Hikarus Kundinnen den Club betrat. Er stand auf, um sie zu begrüßen, und auf seinem Gesicht lag ein strahlendes, aufrichtiges Lächeln. Michiko, die ein grünes Kleid trug, hatte das Haar nach hinten frisiert und mit einem schwarzen Samtband zusammengebunden. Sie war elegant und ruhig.
    Hikaru stellte mich ihr vor. Wir tauschten die üblichen Floskeln aus, und nachdem sie festgestellt hatte, dass ich japanisch sprach, bat sie mich um eine Zigarette. Ich bot ihr eine an und gab ihr leicht zitternd Feuer. Sie inhalierte, schloss die Augen und lehnte sich auf dem Sofa zurück. Etwa zehn Sekunden lang sagte sie nichts. Hikaru zwinkerte mir zu.
    Als Michiko die Augen öffnete, rief sie: »Die schmecken so süß. Und sie riechen fast wie Weihrauch. Woher kommen die denn?«
    »Aus Indonesien«, antwortete ich. »Es sind indonesische Nelkenzigaretten.«
    »Die schmecken mir. Kommen Sie aus Indonesien?«
    »Aus Amerika. Mein Gesicht ist schwer einzuordnen.«
    »Aber es ist ein hübsches Gesicht.«
    »Längst nicht so hübsch wie Ihres.«
    Dieses Kompliment brachte Michiko zum Kichern. Und Hikaru hob eine Augenbraue und lächelte.
    Als Michiko die Zigarette erneut an die Lippen führte, fuhr ich fort: »Sie haben schöne Hände. Ihre Finger sind so lang und geschmeidig, zart und doch stark. Spielen Sie vielleicht Klavier?«
    Daraufhin brach Michiko in Gelächter aus und klopfte Hikaru auf die Knie. »Dein Freund kann gut beobachten. Oder hast du es ihm gesagt?«
    Hikaru schüttelte den Kopf und äußerte lustige Dementis.
    Jetzt war das Eis endgültig gebrochen. Michiko, Hikaru und ich plauderten eine Weile, dann verabschiedete sich Michiko. Es war fast vier Uhr morgens, und das Lokal füllte sich allmählich. Die neuen Gäste waren anscheinend zum größten Teil Hostessen, die jetzt Feierabend hatten. Alle waren elegant gekleidet und viele ziemlich beschwipst, einige sogar laut. Ich hatte eigentlich nicht erwartet, dass Hostessen nach ihrer Arbeit noch in einen solchen Club gehen würden. Andererseits machte es irgendwie auch Sinn.
    Ich hätte die Stoßzeit nach fünf Uhr noch abwarten können, aber schließlich musste ich auch an meinen Tagesjob denken. Als ich meine Sachen packte, fragte mich Hikaru, ob ich ihm den Rest meiner Zigaretten überlassen wolle. »Klar«, sagte ich und fügte dann hinzu: »Und, wie war ich?«
    »Du bist charmant, aber du machst einen großen Fehler. Du willst lieber über dich reden, anstatt anderen zuzuhören. Andererseits sind deine Geschichten interessant, darum ist es vielleicht kein Nachteil. Außerdem bist du ein Unikum und einigermaßen amüsant, und das ist auf jeden Fall ein Vorteil. Die Nelkenzigaretten sind eine nette Zugabe. Sie riechen gut und sind etwas Besonderes, und sie machen dich unvergesslich. Vielleicht rauche ich in Zukunft auch die.«
    Dann meinte er noch, dass ich ja immer noch als Animateur arbeiten könne, wenn ich den Journalismus jemals satt haben sollte. Ich lachte, dankte ihm und verabschiedete mich von allen Anwesenden. Aida überreichte mir ein paar Gutscheine und beschwor mich, doch in Begleitung von Kolleginnen wiederzukommen. Ich kam zwar nicht wieder, aber meine Kolleginnen haben sich gut amüsiert.
    Fast zehn Jahre später sieht Kabukicho nicht mehr so aus wie früher, aber es ist immer noch ein ziemlich zwielichtiger Ort. Bekanntschaften, Gefahren, Abenteuer und erotische Erfüllung sind der Lohn, wenn man weiß, an welche Tür in welchem Stockwerk man klopfen muss. Aber das alles riecht nach Einsamkeit.
    Tokio ist eine der am dichtesten bevölkerten Städte der Welt. Trotzdem – oder gerade deshalb – haben viele niemanden, dem sie vertrauen, niemanden, dem sie ihre Geheimnisse, Sorgen oder Enttäuschungen offenbaren können.
    Natürlich lockt unterschwellig immer die Verheißung, dass Sympathie und Champagner zu Sex führen könnten. Dennoch sind die eigentlichen Motive für die Treffen in den Clubs Entfremdung, Langeweile und Einsamkeit.

Was geschah mit Lucie Blackman?
    Ich musste Tim Blackman in Großbritannien anrufen. Das hatte ich versprochen. Kaum hatte ich ihn an der Strippe, wollte er wissen, was mit seiner Tochter Lucie

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