Tokio Vice
2000 wurden Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen angeordnet. Unter den vielen Videobändern des Angeklagten befand sich auch eine Aufzeichnung, die den Tathergang verdeutlichte. Am 23. unterrichtete ein Vertreter der Tokioter Staatsanwaltschaft das Opfer über die Einzelheiten des Verbrechens. Damals bestätigte sich zum ersten Mal, dass es sich bei der Tat um die sexuelle Nötigung einer wehrlosen Person gehandelt hatte. Am selben Tag klagte die Staatsanwaltschaft von Tokio den Täter wegen sexueller Nötigung einer wehrlosen Person an.
Dieses Verbrechen hat er angeblich mehr als 100 Mal begangen.13
Nach dem 16. Oktober gab es jeden Tag mehr Beweise dafür, dass Obara ein Serienvergewaltiger war und auch etwas mit Lucies Verschwinden zu tun hatte. Nachdem Lucie verschwunden war, tauchte Obara in einer Wohnung in Miura auf, die er seit Jahren nicht benutzt hatte. Seine Hände waren mit Zement bedeckt. Er weigerte sich, den Hausmeister in sein Zimmer zu lassen. Dann wurde er dabei erwischt, wie er versuchte, das Schloss am Apartment des Hausmeisters auszutauschen – er hatte es mit seinem eigenen Apartment verwechselt. Außerdem wurde er an einem nahegelegenen Strand mit einer Schaufel gesehen.
Da das Ganze dem Hausmeister äußerst seltsam vorkam, ging er zur Polizei. Als die zur Wohnung kam, wollte Obara sie nicht hereinlassen. Wahrscheinlich hätten Beweise gefunden werden können.
Natürlich fragten sich viele Leute, warum die Polizei Obaras Wohnung damals nicht durchsucht hatte. Dafür gab es keine vernünftige Erklärung.
Im Oktober, vor seiner Verhaftung, kaufte Obara ein teures Motorboot, ohne es vorher besichtigt zu haben. Die Tokioter Polizei ging davon aus, dass er mithilfe des Bootes Beweise beseitigen wollte, die ihn mit dem Verbrechen in Verbindung brachten.
Die Polizei untersuchte die Drogen, die sie schließlich in Obaras Wohnung gefunden hatte. Es waren verschiedene Schlafmittel, die er wahrscheinlich dazu verwendet hatte, nicht nur Ausländerinnen, sondern auch Japanerinnen sexuell zu missbrauchen. Sobald sich herausstellte, dass sich unter den Opfern auch Japanerinnen befanden, nahm der Medienrummel zu.
Der erdrückendste Beweis waren die Videobänder. Die Polizei fand mehr als 100 VHS-Videobänder und 8-mm-Schmalfilme, auf denen Obara Frauen, meist aus dem Westen, missbrauchte. Sie waren in seinem Haus im Distrikt Setagaya und in seiner Eigentumswohnung in Zushi in der Präfektur Kanagawa gefunden worden. Alle
Frauen waren offenbar bewusstlos und konnten sich nicht gegen
Obara wehren.
Lucie war allerdings auf keinem Band zu sehen. Die Bänder waren chronologisch geordnet, doch aus der Zeit, als Lucie verschwunden war, gab es keine Bänder. Ende Oktober klagte der Tokioter Staatsanwalt Obara wegen des ersten von vielen Verbrechen an.
Doch Obara schwieg, was keine große Überraschung war. Denn der Mann hatte an der Universität Keio Jura studiert, kannte das Gesetz und wusste, wie die Polizei arbeitete.
Obara bestritt, Lucie gekannt zu haben, und behauptete, alle Opfer seien bezahlte Prostituierte gewesen, die mit dem Geschlechtsverkehr einverstanden gewesen seien.
Wichtig war nun vor allem, herauszufinden, ob jemand vielleicht Obara und Lucie zusammen gesehen hatte.
Und das sollte meine Aufgabe sein. Wenn wir einen Zeugen auftreiben konnten, dann hatten wir nicht nur eine gute Schlagzeile, sondern wir konnten auch der Polizei einen Handel anbieten.
Yamamoto glaubte fest daran, dass ich auf eine Spur stoßen würde.
»Adelstein«, sagte er und klopfte mir dabei auf die Schulter, während wir an der Theke einer Bar in Roppongi saßen, »kennst du das Sprichwort › ja no michi wa hebi ‹?«
»Ja, ich glaube, das bedeutet: ›Die Schnecke kennt die Schlange.‹«
»Genau. Du bist ein gaijin , das Opfer ist eine gaijin , die Familie des Opfers ist gaijin , und die Zeugen sind es vermutlich auch. Obara ist wahrscheinlich Halbkoreaner, also ebenfalls ein gaijin . Darum bist du genau der richtige Reporter für diesen Fall. Bring mir etwas Brauchbares.«
»Ich werde mein Bestes tun.«
»Tu nicht dein Bestes, benutze lieber dein Hirn. Die Ergebnisse sind entscheidend, nicht die Anstrengung. Ich schätze es natürlich, wenn du dich bemühst, aber was zählt, sind die Resultate.«
»In Ordnung, dann werde ich mich eben nur halbherzig mit der
Sache befassen, aber etwas Interessantes rausfinden.«
»Gut so.«
Er bestellte mir noch einen Drink und brach dann auf, um einen Kripobeamten zu
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