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Tokio Vice

Titel: Tokio Vice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jake Adelstein
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nachlässig umgeht – sie geht mit Verbrechen an Frauen allgemein nachlässig um.
    Ich glaube – und da ich hier nicht für eine Zeitung schreibe, darf ich meine Meinung offen sagen –, dass sexuelle Übergriffe auf Frauen für die Polizei immer eine Nebensache waren. Die Strafe für Vergewaltigung ist so gering – meist nicht mehr als zwei Jahre – und die Chance auf Bewährung bei der ersten Verurteilung so groß, dass das Delikt wohl kaum als Schwerverbrechen angesehen wird.
    Viele Polizisten halten Hostessen nicht für Opfer, sondern für gierige, manipulative Prostituierte, die Männer zu Opfern machen. Vor allem die ausländischen Hostessen. Ich weiß nicht, wie man diese Einstellung ändern kann. Denn selbst wenn das Opfer eine Prostituierte ist, ist sie ein Opfer. Auch Prostituierte haben das Recht, Nein zu sagen. Und Frauen, die gegen ihren Willen unter Drogen gesetzt werden, können überhaupt nichts sagen.
    In den letzten fünf Jahren hat die Tokioter Polizei begonnen, verstärkt Polizistinnen einzusetzen, wenn es um Sexualdelikte geht. Das ist ein guter Anfang. Denn die männlichen Beamten neigten bisher dazu, die Opfer wie Kriminelle zu behandeln. Sie stellten Fragen wie: »Womit haben Sie ihn denn angemacht?« oder: »Warum haben Sie nicht Nein gesagt?« Ich habe mit drei Frauen gesprochen, die nach einer Vergewaltigung sehr unerfreuliche Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben. Jede von ihnen musste drei bis acht Stunden warten, bevor sie ins Krankenhaus zur Untersuchung gebracht wurde. In der Zwischenzeit wurde ihnen erlaubt oder sie wurden sogar dazu ermuntert, zur Toilette zu gehen, was natürlich manche körperlichen Beweise zerstörte.
    Nicht jedes Revier besitzt eine Notfallausrüstung für Vergewaltigungsopfer, aber ich weiß, dass solche Ausrüstungen existieren. Es ist nicht überraschend, dass Typen wie Obara in einem Land, in dem Vergewaltigung nicht als Schwerverbrechen gilt, leichtes Spiel haben.
    Ein Informant in der britischen Botschaft erzählte mir, dass bei der Polizei schon viele Jahre vor Lucies Verschwinden Anzeigen erstattet worden seien. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Bisher hat niemand bei der Tokioter Polizei das offiziell bestätigt. Aber eines weiß ich: Wenn jemand diese Anzeigen ernst genommen hätte, wäre Obara nicht nur längst im Gefängnis, sondern Lucie Blackman noch am Leben.

Geldautomaten und Presslufthämmer: ein Tag im Leben eines Shakaibu-Reporters
    Ich erwachte müde und verschwitzt im Ruheraum im zweiten Stock des Yomiuri -Gebäudes. Da ich vergangene Nacht so lange im Büro bleiben musste, hatte ich den letzten Zug nach Hause verpasst.
    Es gab zwei Ruheräume im zweiten Stock, einen für die Politik und die Wirtschaft und einen für die überregionalen Nachrichten und die Auslieferung. In unserem Raum gab es ausgebeulte Matratzen, Kissen, die mit Bohnen gefüllt waren, und eine Heizung, die einem ein Sauna-Gefühl bescherte. Außerdem ein Ausgang-Schild, das sein flackerndes Licht auf alles warf, und ein Telefon, dessen Hörer man jederzeit abnehmen musste, wenn es klingelte. Die Kollegen von der Politik hatten natürlich einen dunklen, temperierten Raum mit neuen Betten und ohne Telefon.
    Ich rasierte mich, sprang in ein Firmenauto und fuhr nach Saitama, in mein altes Revier. Dort arbeitete ich an einem Artikel über eine Serie von spektakulären Diebstählen aus Bankautomaten. Im vergangenen Jahr waren es etwa 57 gewesen. Die Räuber brachen in eine Baufirma in der Nähe eines einsamen Automaten am Stadtrand ein und stahlen einen Bagger oder Gabelstapler, damit fuhren sie dann zum Automaten, rissen ihn von der Wand und nahmen ihn mit. An einem sicheren Ort brachen sie ihn auf, entnahmen den Safe mit dem Geld, luden ihn in ein anderes Auto und trennten sich. Das alles dauerte meist etwa vier Minuten. Da die Polizei im Durchschnitt nach sechs Minuten am Tatort war, mussten die Räuber ziemlich flink sein. Etwa jedes zweite Mal konnten sie den Bankautomaten nicht schnell genug von der Wand reißen und mussten die Beute zurücklassen.
    Ich sprach mit Beamten von Scotland Yard, die beauftragt gewesen waren, Ende der Neunzigerjahre eine Serie von ähnlichen Vorfällen zu untersuchen – die Täter wurden damals Rammbockräuber genannt. Die britische Polizei hatte die Banken dazu gedrängt, die Geldautomaten im Boden zu verankern, seitdem gab es kaum noch Diebstähle. Die Automaten können so zwar immer noch keinem Bagger widerstehen, aber die Räuber

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