Tokio
begeisterter Anhänger von Chiang Kai-schek, zutiefst skeptisch gegenüber Aberglauben und allem, was China so rückschrittlich gehalten hatte. Als die Hochzeit stattfand, in meiner Heimatstadt, erzählte ich niemandem davon. Es waren keine Kollegen anwesend, um der langwierigen Zeremonie beizuwohnen; niemand war Zeuge, als ich die demütigenden Rituale über mich ergehen ließ - der gespielte Streit mit den Brautjungfern an der Tür, die Hüte aus Draht und Zypressenblättern, die quälend langsame Prozession, die einen großen Bogen um alle Brunnen oder Häuser von Witwen machte -, während beständig Knallfrösche die ganze Gesellschaft zusammenfahren ließen wie erschreckte Kaninchen.
Doch meine Familie war zufrieden, und ich wurde als Held betrachtet. Meine Mutter, vielleicht in dem Gefühl, sie wäre nun ihrer irdischen Pflichten entbunden, starb kurz darauf.
»Mit einem verzückten, friedvollen Lächeln auf ihrem Gesicht«, wenn man meiner teuren Schwester glauben darf. Shujin wurde sogleich zum guten Klageweib, kniete sich höchstselbst hin, um den Fußboden in meinem Elternhaus mit Puder zu bestäuben. »Wir werden ihre Fußabdrücke bestaunen, wenn ihr Geist zu uns zurückkehrt.«
»Bitte, rede nicht solch dummes Zeug«, sagte ich ärgerlich.
»Es war genau dieser Bauernglaube, der sie ins Grab gebracht hat. Wenn sie auf die Lehren unseres Präsidenten gehört hätte ...«
»Mhmm«, entgegnete Shujin, stand auf und klopfte sich die Hände ab. »Ich hab genug von deinem glorreichen Präsidenten gehört, vielen Dank auch. All den Mist über das Neue Leben. Sag mir, was ist dieses wunderbare Neue Leben, das er predigt, wenn nicht genau dies, unser altes Leben, neu erschaffen?«
Jetzt, während ich noch immer um meine Mutter trauere und meine Visitenkarten noch immer auf weißem Papier gedruckt sind, stelle ich fest, dass, wie aus derselben Knospe, ein Ersatz gesprossen ist - diese lästige, unselige, faszinierende Ehefrau. Faszinierend, sage ich, denn was so merkwürdig, so gänzlich unerwartet und unglaublich ist -ich scheue mich, dies niederzuschreiben -, trotz meiner Verärgerung über Shujin, trotz ihrer Rückständigkeit, trotz allem, weckt sie Gefühle in mir.
Das ist mir zutiefst peinlich. Ich würde es keiner lebenden Seele, ganz sicher nicht meinen Kollegen gegenüber eingestehen, die ihren lächerlichen Aberglauben auf intellektueller Ebene angreifen würden! Man kann sie noch nicht einmal schön nennen, zumindest nicht im landläufigen Sinn. Doch gelegentlich ertappe ich mich dabei, dass
ich minutenlang in ihren Augen versinke. Sie sind so viel blasser als die anderer Frauen, und mir fällt dies besonders auf, wenn sie etwas betrachtet; denn dann scheint sie ihre Augen unnatürlich weit aufzureißen und alles Licht aufzusaugen, so dass sich tigergleiche Streifen in ihnen bilden. Selbst eine hässliche Kröte träumt davon, einen wunderschönen Schwan zu fressen, heißt es. Und diese hässliche Kröte, diese magere, zu klein geratene, pedantische Kröte träumt Tag um Tag von Shujin. Sie ist meine Schwäche.
Nanking, 5. März 1937 (der
dreiundzwanzigste Tag des ersten Monats
nach Shujins Mondkalender)
Unser Haus ist klein, doch modern. Eins der zweistöckigen, mit Kalk verputzten, weiß getünchten Häuser, die nördlich der Kreuzung von Zhongshan-und Zhongyang-Straße aus dem Boden geschossen sind. Die Haustür öffnet sich auf einen kleinen, von einer Mauer eingefassten Hof und von dort auf eine geteerte Gasse; auf der Rückseite des Hauses, hinter der Küche, befindet sich ein kleines Stück Land mit Granatapfel-und Teakholzbäumen und einem unbenutzbaren Brunnen, dessen Wasser im Sommer faulig wird. Wir brauchen den Brunnen nicht, wir haben fließendes Wasser; erstaunlich für dieses Viertel von Nanking, wo man noch immer windschiefe Baracken finden kann, die nur aus alten Reifen und Holzkisten zusammengezimmert sind. Und wir verfügen nicht nur über Wasser, sondern auch über Strom, eine Glühbirne in jedem Raum und eine importierte Blümchentapete im Schlafzimmer!
Alle Nachbarn beneiden Shujin um dieses Haus, doch sie durchstreift die Zimmer wie ein Jäger, immer auf der Suche nach Spalten und Ritzen, durch die sich böse Geister hereinzwängen könnten. Jetzt gibt es in jedem Raum Altäre für die Hausgötter, mit eigenen Tüchern und Handfegern, um sie damit sauber zu halten; eine Geisterwand an der Haustür und blaue Ba - gua -Spiegel gegenüber den Innentüren. Über unserem
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