Tokio
eine
Walnuss, seine Nase ein winzig kleines Dreieck, kaum mehr als zwei dunkle Aushöhlungen, wo die Nasenlöcher saßen -wie bei einem Totenschädel. Die aus seinen Hemdmanschetten ragenden und von Altersflecken übersäten Hände waren lang und braun und dürr wie abgestorbenes Laub.
»Dame! Konaide yo!« Mama Strawberry rutschte von ihrem Hocker, richtete sich zu voller Größe auf, hob das Sektglas an die Lippen und trank es mit einem Schluck aus, ohne ihren Blick von der Gruppe zu lösen. Sie stellte das Glas ab, stopfte eine Zigarette in die Zigarettenspitze, strich sich ihr Kleid über den Hüften glatt, drehte sich auf dem Absatz um und stöckelte quer durch den Klub, die Ellbogen eng an ihren Körper gepresst, die Zigarette ausgestreckt. Der Klavierspieler hielt mitten im Spiel inne, als er sich auf seinem Hocker zurücklehnte, um zu sehen, was los war.
Strawberry blieb ein paar Schritte vor dem besten Tisch des Hauses stehen, neben dem Fenster mit dem beeindruckendsten Blick über Tokio. Sie hielt das Kinn hochgereckt und die Schultern durchgedrückt. Ihre Füße standen sittsam nebeneinander. Dann drehte sie sich mit äußerster Beherrschung zu der Gruppe um und winkte sie mit jener eigentümlichen, nach unten gerichteten japanischen Geste heran. Als die anderen Gäste die Neuankömmlinge bemerkten, verstummte nach und nach jegliches Gespräch, und alle Augen folgten der Gruppe auf ihrem langsamen Marsch durch den Klub. Doch mir stach etwas anderes ins Auge. In der Wand hinter dem Empfangstresen befand sich eine kleine Nische, ein rechteckiger Bereich mit einem Tisch und einigen Stühlen. Obwohl es keine Tür gab, war die Nische in einem solchen Winkel angelegt, dass man darin vor den Blicken der anderen Gäste geschützt war. Manchmal benutzte Mama Strawberry sie für Gespräche unter vier Augen, oder Chauffeure tranken dort ihren Tee, während sie auf ihre Kunden warteten. Als die Neuankömmlinge den Klub betraten, löste sich eine Gestalt aus der Gruppe und schlüpfte lautlos in die Nische. Die Bewegung war so blitzschnell, dass ich nur einen ganz flüchtigen Blick erhaschte, doch was ich sah, ließ mich gleichzeitig fasziniert und beklommen aufmerken.
Die Gestalt trug Frauenkleider, eine schwarze Schurwolljacke und einen schmalen, knielangen Rock. Doch wenn es sich tatsächlich um eine Frau handelte, dann war sie sehr groß. Ich hatte den Eindruck von breiten, männlichen Schultern, langen Armen, kräftigen Beinen, die in blank geputzten schwarzen Stöckelschuhen steckten. Was mir am meisten auffiel, war ihr Haar: ein Pagenschnitt, der so unnatürlich glänzte, dass es sich um eine Perücke handeln musste. Die Seiten und der Pony waren so geschnitten, dass ihr Gesicht fast ganz verdeckt war. Obwohl die Haare ziemlich lang waren, reichten sie gerade mal bis zu den Schultern der Frau, so als ob Kopf und Hals seltsam gestreckt wären.
Während ich die Frau mit offenem Mund beobachtete, hatte die Gruppe den Tisch erreicht. Die Kellner deckten ihn in hektischer Eile, und der Invalide wurde an das Kopfende des Tisches geschoben, wo er mürrisch und schwarz wie ein Mistkäfer hockte, während der Mann mit dem Pferdeschwanz es ihm beflissen bequem machte und den Kellnern Anweisungen gab, wo sie die Gläser und Wasserkaraffen hinstellen sollten. Aus den dunklen Ecken des Klubs blickten zwanzig Hostessen nervös auf Strawberry, die zwischen den Tischen umherging, Namen flüsterte, sie anwies, sich zu der Gruppe zu gesellen. Ihr Gesicht hatte einen seltsamen, blutleeren Ausdruck, der auf Zorn schließen ließ. Einen Moment lang konnte ich jenen Ausdruck nicht benennen, doch als sie den Kopf in den Nacken legte und auf mich zugestöckelt kam, sah ich es. All die kleinen Muskeln in ihrem Gesicht zuckten. Strawberry hatte Angst.
»Grey-san«, sagte sie leise und beugte sich über mich. »Mr. Fuyuki. Du gehst hin und setzt dich zu ihm.«
Ich griff nach meiner Tasche, doch sie hielt mich zurück und legte einen Finger auf ihre Lippen.
»Sei vorsichtig«, flüsterte sie. »Sei sehr vorsichtig. Sag kein Wort über gar nichts. Es hat guten Grund, warum Leute Angst vor ihm haben. Und ...« Sie zögerte und sah mich durchdringend an. »Das Wichtigste von allem ist sie.« Sie deutete mit einer Bewegung ihres Kinns auf die Nische.
»Ogawa. Seine Krankenschwester. Du darfst sie auf keinen Fall ansprechen oder ihr in die Augen schauen. Du verstehen?«
»Ja«, hauchte ich, und mein Blick wanderte abermals zu dem
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