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Tokio

Tokio

Titel: Tokio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Fleisch nicht essen. Er hat die gleichen Geschichten gehört wie sie ...
    Ich fuhr mir mit der Zunge über meine trockenen Lippen und beugte mich zu Fuyuki. »Wir sind uns schon einmal begegnet«, flüsterte ich auf Japanisch. »Erinnern Sie sich?«
    »Tatsächlich?«
    »Ja. Im Sommer. Ich hatte gehofft, Sie wieder zu treffen.«
    Er überlegte kurz, dann sagte er: »Ach ja?« Wenn er sprach, blieben seine Augen und die merkwürdige kleine Nase vollkommen reglos, doch die Haut seiner Oberlippe haftete an seinen Zähnen und entblößte, wenn sie sich hob, seltsam spitze Zähne wie die einer Katze. Ich starrte auf diese Zähne. »Ich würde mir gern Ihre Wohnung ansehen«, sagte ich leise.
    »Du kannst sie von hier aus sehen.« Er kramte in seiner Tasche, zog eine Zigarre heraus, wickelte sie aus, schnitt mit einem kleinen silbernen Instrument, das er aus seiner Brusttasche holte, die Spitze ab und inspizierte sie, drehte sie hin und her, zupfte Tabakkrümel ab.
    »Ich würde mich gern umschauen. Ich würde gern ...«, ich zögerte, deutete auf den Raum, in dem die Drucke hingen, »... ich möchte mir dir Drucke ansehen. Ich habe über Shunga gelesen. Die, die Sie besitzen, sind besondere Raritäten.«
    Er zündete die Zigarre an und gähnte. »Sie sind gebringt worden nach Japan von mir«, erklärte er in unbeholfenem Englisch. »Zurück zu Heimatland. Mein Hobby ist zu - Eigo deha nanto iu no desuka? Kaimodosu kotowa - Nihon no bijutsuhinwo Kaimodosu no desuyo.«
    »Heimführung«, sagte ich. »Die Heimführung japanischer Kunstwerke.«
    »So, so. Ja. Heimführung von japanisch Kunstwerke.«
    »Würden Sie sie mir wohl zeigen?«
    »Nein.« Er schloss die Augen wie ein sehr altes Reptil, legte ganz leicht seine Hand über sie, so als hätte ihn die Unterhaltung erschöpft. »Danke, nicht jetzt.«
    »Wirklich nicht?«
    Er öffnete ein Auge und musterte mich argwöhnisch. Ich machte Anstalten zu sprechen, doch etwas in seiner Miene ließ
    mich innehalten. Er darf es nie erfahren, hatte Shi Chongming gesagt. Nie auch nur argwöhnen.
    »Ja.« Ich räusperte mich und spielte nervös mit der Serviette.
    »Natürlich. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Ganz und gar nicht.« Ich zündete mir eine Zigarette an und rauchte, während ich das Feuerzeug in meinen Händen herumdrehte, als wäre es der faszinierendste Gegenstand der Welt. Fuyuki beobachtete mich einen Moment, dann schien er zufrieden und schloss erneut die Augen.
    Danach sprach ich nicht mehr viel mit ihm. Er döste einige Minuten ein, und als er aufwachte, erzählte ihm die Japanerin zu seiner Rechten eine langatmige Geschichte von einer Amerikanerin, die ohne BH joggen ging. Er lachte und schüttelte begeistert den Kopf. Ich saß schweigend daneben, rauchte eine Zigarette nach der anderen und überlegte: Was jetzt, was jetzt, was jetzt? Ich hatte das deutliche Gefühl, dass ich mich dem Ziel näherte, dass ich immer engere Kreise um das Objekt meiner Suche zog. Ich leerte in gierigen Schlucken zwei Glas Champagner, drückte meine Zigarette aus, holte tief Luft und beugte mich zu ihm. »Fuyu-ki-san?«, flüsterte ich.
    »Ich muss mal auf die Toilette.«
    »Hi hi«, sagte er geistesabwesend. Die Hostess zu seiner Rechten vollführte gerade ein Kunststück mit einem Streichholzbriefchen. Er deutete beiläufig auf eine doppelflügelige Glastür hinter sich. »Da entlang.«
    Ich hatte mehr erwartet, einen gewissen Widerstand. Ich schob meinen Stuhl zurück und stand auf, blickte dabei auf seinen kleinen braunen Schädel, erwartete, dass er sich umdrehen würde. Doch nichts geschah. Niemand am Tisch schaute auch nur hoch, sie waren alle zu vertieft in ihre Gespräche. Ich durchquerte die Terrasse, trat durch die Glastür und schloss sie eilig hinter mir. Dann stand ich einen Moment lang da, die Hände flach an die Scheibe gepresst, und blickte zurück. Niemand hatte bemerkt, dass ich hinausgegangen war. An einem Tisch am anderen Ende des Swimmingpools konnte
    ich Jasons Hinterkopf zwischen zwei Hostessen ausmachen, und Fuyuki saß noch genauso da, wie ich ihn zurückgelassen hatte, nur seine schmalen Schultern bebten jetzt, weil er lachte. Die Hostess hatte das Streichholzbriefchen angezündet, war aufgestanden und hielt es über dem Tisch hoch wie ein Leuchtfeuer, schwenkte es zum Applaus der anderen Gäste hin und her.
    Ich wandte mich von der Tür ab und stand in einem holzverkleideten Korridor, dem Äquivalent des Flurs, durch den wir zuvor hereingekommen

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