Tokio
doch gelang, mich loszureißen, hob Jason die Augenbrauen und lächelte, jenes viel sagende Lächeln, das nur die Ecke seines angeschlagenen Zahns entblößte, das Lächeln, das er mir im Flur in Takadanobaba geschenkt hatte. Mir schoss das Blut ins Gesicht. Ich legte meine Hände auf die Wangen und kehrte ihm den Rücken.
»Der hier«, sagte Bison auf Japanisch und zeigte mit seiner Zigarre auf einen Druck. »Der hier mit dem roten Kimono?«
»Von Shuncho«, krächzte Fuyuki, während er nachdenklich
den Druck betrachtete. »Achtzehntes Jahrhundert. Versichert für vier Millionen Yen. Wunderschön, nicht wahr? Hat ein kleiner Chimpira aus Saitama für mich aus einem Haus in Waikiki beschafft.«
Der Mann mit dem Pferdeschwanz räusperte sich diskret, und Bison wandte sich um. Fuyuki drehte seinen motorisierten Rollstuhl herum und sah uns an.
»Kommt mit«, flüsterte er den versammelten Hostessen zu.
»Hier entlang.«
Wir folgten ihm in ein anderes Zimmer, in dem unter zwei Samurai-Schwertern, die an unsichtbaren Drähten von der Decke hingen, eine Gruppe von Männern in Hawaiihemden saßen und aus Kristallgläsern Scotch tranken. Sie erhoben sich hastig und verbeugten sich, als Fuyuki im Rollstuhl an ihnen vorbeiglitt. Eine gläserne Schiebetür stand offen und
gab den Blick auf einen mit glänzendem schwarzem Marmor
verkleideten Innenhof frei, in dem sich der Nachthimmel spiegelte. In der Mitte, pechschwarz, so als wäre er aus demselben Block geschlagen, befand sich ein beleuchteter Swimmingpool, über dessen Oberfläche eine Chlordunstwolke hing. Mehrere gasbetriebene Terrassenheizungen, hoch wie Laternenpfosten, standen verstreut, und neben dem Becken erkannte man sechs große Esstische, jeder gedeckt mit emaillierten schwarzen Telleruntersetzern, silbernen Essstäbchen, schweren Glaskelchen und Servietten, deren Enden sich im Wind bewegten.
Mehrere Plätze waren bereits besetzt. Vierschrötige Männer mit kurz geschorenen Haaren pafften Zigarren und unterhielten sich mit jungen Frauen in rückenfreien Abendkleidern. Es gab sehr viele Frauen. Fuyuki musste eine Menge Hostessenklubs kennen, dachte ich.
»Mr. Fuyuki«, sagte ich und blieb auf dem Weg zu den Tischen hinter ihm stehen. Er hielt den Rollstuhl an, drehte sich um und sah mich überrascht an. Keine der Hostessen hatte es bis jetzt gewagt, ihn anzusprechen. »Ich ... ich möchte neben Ihnen sitzen.«
Er musterte mich durchdringend. Vielleicht hatte meine Unhöflichkeit seine Neugier geweckt. Ich stellte mich vor ihn, so nah, dass er nicht umhinkonnte, meinen Körper zu betrachten. Aus einem Impuls heraus, zweifellos das Erwachen des Vampirs in mir, nahm ich seine Hände und legte sie auf meine Hüften. »Ich möchte neben Ihnen sitzen.«
Fuyuki blickte auf seine Hände. Vielleicht spürte er die Boxershorts darunter, den Gummibund, der sich unter seinen Fingern spannte. Vielleicht aber hielt er mich einfach für verrückt und taktlos, denn schließlich lachte er krächzend.
»Dann komm«, flüsterte er. »Setz dich neben mich, wenn du möchtest.«
Er steuerte seinen Rollstuhl an den Tisch, und ich ließ mich mit weichen Knien auf dem Stuhl neben ihm nieder. Bison saß
ein paar Plätze weiter. Er griff gerade nach einer Serviette, entfaltete sie mit einer schwungvollen Bewegung und steckte sie sich in den Kragen. Ein Kellner in schwarzen Jeans und TShirt wartete im Hintergrund mit eisgekühlten Wodkacocktails in milchig-weißen Gläsern, aus denen neblige Schwaden waberten, wie von Trockeneis. Ich nippte an meinem Glas und ließ den Blick verstohlen über den Innenhof schweifen. Irgendwo, dachte ich, während ich die Fenster betrachtete, einige beleuchtet, andere dunkel, irgendwo in dieser Wohnung ist die Sache, die Shi Chongming nachts den Schlaf raubt. Keine Pflanze. Wenn keine Pflanze, was dann? Hoch oben an der Wand leuchtete ein rotes Lämpchen. Ich fragte mich, ob es eine Alarmanlage war.
Essen wurde serviert: Thunfischscheiben, aufgetürmt wie Dominosteine auf einem Bett von Brennnesseln; Schüsseln mit Walnusstofu, versetzt mit Seetang; geriebener Rettich, knirschend wie Salz. Bison saß starr und steif vor einem Teller mit Yakitori-Huhn. Sein Gesicht war bleich und schweißnass, so als müsste er sich gleich übergeben. Ich beobachtete ihn, während ich daran dachte, wie gebannt er bei seinem letzten Besuch im Klub auf den Bodensatz in Fuyukis Glas geschaut hatte. Genau wie Strawberry, ging es mir durch den Sinn. Er will das
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