Tolle Maenner
einfach unfair. Fast ein ganzes Jahr lang war Tracie mit
den schwachsinnigsten Themen abgespeist worden, und jetzt entzog er ihr auch noch eine Geschichte, für die sie sich wirklich interessierte. Sie war so enttäuscht, dass sie Allison nicht einmal mehr ansehen konnte, ohne sich vorzustellen, was diese für Marcus hatte tun müssen, damit sie den Artikel bekam. Während der Konferenz hatte Allison achselzuckend zu ihr herübergeschaut und ihr ein Sorry-aber-was-soll-ich-machen-Lächeln zukommen lassen. Tracie hätte ihr dieses Lächeln am liebsten mit Stahlwolle und ein wenig Salzsäure aus dem Gesicht gerieben. Und um das Maß voll zu machen, hatte Marcus ihr einen Artikel zum Thema Vatertag zugeteilt. Als ob sie nicht wie die meisten Amerikaner ein ernsthaftes Vaterproblem hätte. »Kann ich auch über Versagerväter schreiben?«, hatte sie gefragt, aber Marcus hatte die Frage nur mit einem Lachen abgetan.
Sie nahm den Hörer ab und gab abermals Jons Nummer bei Micro/Con ein. Nicht nur war Jon noch immer nicht zu erreichen, auch seine akustische Mailbox war voll, sodass Tracie ihm nicht einmal eine Nachricht hinterlassen konnte.
»Hast du mal wieder was von Jonny gehört?«, fragte Beth sie von der Tür aus.
Verdutzt sah Tracie zu ihr auf. »Nein«, zischte sie. »Und wenn, dann würde ich es dir nicht sagen.«
»Oooh!«, säuselte Beth und machte sich davon. »Mit dir redet man wohl besser erst wieder nach Feierabend.«
Tracie konnte kaum glauben, dass Beth ihre Stimmung einfach mit einem Schulterzucken abtat und sich in ihr eigenes Büro zurückzog. Normalerweise belästigte sie sie mindestens eine halbe Stunde lang. Tracie hatte von Beth’ Erkundigungen nach Jon derart die Nase voll, dass sie schon bereute, die beiden zusammengebracht zu haben. Wie hätte sie auch wissen sollen, dass die Sache soweit gehen würde? Aber mit ein bisschen Glück würde sich das Problem bald von selbst lösen.
Zumindest war sie mit ihrem Verwandlungsartikel ganz gut vorangekommen. Er musste nur noch einmal gründlich redigiert werden und einen guten Schluss bekommen, aber ansonsten fand
sie ihn recht witzig und prägnant, und auch die Fotos machten sich prima. Sie fragte sich, ob sie wohl den Mut haben würde, den Entwurf an das Seattle Magazine zu schicken. Dann dachte sie einen Schritt weiter. Sie hatten Interesse bekundet. Warum sollte sie es nicht gleich beim Esquire versuchen? Sie hatte noch nie etwas in einer landesweit erscheinenden Zeitschrift veröffentlicht. Sie sollte sich mal bei einigen Zeitschriften das Impressum ansehen und worüber sie so berichteten.
Da fiel ihr wieder ein, dass sie einen Termin bei Stefan hatte; wenn sie nicht bald aufbrach, würde sie für den so dringend nötigen Haarschnitt noch zu spät kommen.
Zum Teufel mit Marcus, Allison und der Times. Heute würde sie eine ausgedehnte Mittagspause machen.
Die Musik plärrte aus den Lautsprechern, während Laura, das Haar in hundert Streifen Alufolie verpackt, darauf wartete, dass die Farbe einwirkte. In der Zwischenzeit schnitt Stefan Tracie das Haar. »Nicht zu kurz«, wies Tracie ihn an. Stefan hatte eine große Ausnahme gemacht und Laura erlaubt zuzuschauen, wie er Tracies Haar stylte.
»Ich weiß«, sagte Stefan. »Immer dasselbe: nicht zu kurz.« Er seufzte tief, als hätte er jedes einzelne Haar auf jedem Kopf von Seattle gründlich satt. Tracie hoffte, dass Stefan nicht schlecht gelaunt war, da ein schlecht gelaunter Stefan nicht besonders gut war. »Und wie läuft dein kleines Experiment?«, fragte Stefan, und einen Augenblick lang hatte sie keine Ahnung, wovon er überhaupt redete. Dann fuhr Stefan fort: »Ich finde, er ist ein richtig scharfer Smartie-Boy geworden.« Nun war Tracie klar, dass er von Jon sprach. »Er war vor zwei Tagen da. Das Blau hat mir gut gefallen, es steht ihm«, meinte Stefan.
»Jon war hier?«, fragte Tracie. »Jon ist von sich aus hierher gekommen?«
»Ja, vor zwei Tagen«, erklärte Stefan noch einmal.
Tracie konnte es kaum glauben. Erstens hatte John erst vor kurzem die Haare geschnitten bekommen, und zweitens...
»Wie hat er es geschafft, vor mir einen Termin zu kriegen?«, fragte sie.
Stefan lächelte still in sich hinein und zuckte mit den Achseln, was Tracie gerade noch aus den Augenwinkeln mitbekam. »Dein Smartie-Boy kann eben sehr überzeugend sein.«
Laura kicherte. »Smartie-Boy?«, fragte sie. »Das ist ja noch schlimmer als Lover-Boy. Nennst du ihn jetzt wirklich so?«
»Nein«, fuhr
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