Tolle Maenner
er.
»Freiberuflich?«, wiederholte sie wie eine Idiotin, denn seine Bemerkung hatte sie auf dem allerfalschesten Fuss erwischt, falls man bei zwei Füßen überhaupt von einem allerfalschesten sprechen konnte. Woher konnte er das wissen? Hatte jemand vom Seattle Magazine geplaudert? Steckten die Zeitungs- und Zeitschriftenleute von Seattle etwa alle unter einer Decke?
»Als Vollzeitbeschäftigte in diesem Verlag ist es Ihnen strengstens untersagt, anderen Publikationen Material anzubieten, das Sie nicht zuvor hier präsentiert haben.«
Tracie konnte es nicht glauben. Belästigte er sie etwa wegen eines Artikels, den er selbst abgelehnt hatte? Zum ersten Mal hatte sie keine Angst mehr vor Marcus, weil sie merkte, dass hinter seinen vordergründig so selbstbewusst vorgetragenen Drohgebärden so etwas wie Nervosität oder Angst steckte. Aber wovor konnte er Angst haben? Und wie hatte er von ihren Anfragen bei der Konkurrenz erfahren?
»Ich bin mir noch gar nicht sicher, ob ich auf dem freien Markt etwas anbieten möchte«, sagte Tracie so wahrheitsgemäß und ruhig sie konnte. »Aber wenn ich das tun würde, dann natürlich
in der Hoffnung, dass der Artikel am Ende doch hier publiziert wird.« Sie rang sich mühsam ein Lächeln ab, obwohl sie ihm lieber durch die Schuhspitze in den großen Zeh gebissen hätte. »Im Übrigen kann ich Ihnen versichern, Marcus, dass das Einzige, woran ich – neben Ihren Aufträgen natürlich – in letzter Zeit gearbeitet habe, der Verwandlungsartikel ist, den Sie ausdrücklich abgelehnt haben.«
»Was für eine Verwandlung?«, fragte er und stand auf, um vor der Fensterfront hinter seinem Schreibtisch auf und ab zu gehen. Im Profil betrachtet, war er noch immer recht attraktiv, obwohl bereits der Ansatz eines Doppelkinns sein ansonsten äußerst markantes Gesicht beeinträchtigte. Er verschränkte die Arme, drehte sich um und ertappte sie dabei, wie sie ihn abschätzig betrachtete. Nun lächelte er seinerseits und kam hinter seinem Schreibtisch hervor, um zur Abwechslung hinter ihr auf und ab zu gehen – um sie nervös zu machen, wie sie vermutete.
»Oh«, sagte er. »Sie meinen wohl die Verwandlung ›Vom Milden zum Wilden‹ durch den Austausch eines einzigen Buchstabens?« Tracie reckte den Hals, doch immer, wenn er in Sicht kam, drehte er wieder um und ging in die andere Richtung. Sie beschloss, sein ständiges Herumgerenne zu ignorieren und schaute aus dem Fenster. Wortlos. »Vielleicht war ich da ja ein bisschen voreilig«, meinte er. »Ich würde gern noch mal einen Blick drauf werfen.«
Tracie wusste, dass sie Nein sagen sollte. Sie brauchte einen Artikel, der anderswo erschien, wo kein Marcus ihn verstümmeln konnte, aber sie war sich nicht sicher, ob sie es mit ihm aufnehmen konnte. »Es ist erst ein Entwurf«, erklärte sie, während sie seinen rastlosen Schritten lauschte.
»Das stört mich nicht«, meinte er und legte ihr von hinten leicht die Hände auf die Schultern. Sie zuckte auf ihrem Stuhl zusammen, und er nahm die Hände wieder weg.
»Also gut«, sagte sie. Sie kam sich vor wie Mary Tyler Moore in der gleichnamigen Sitcom, wenn Mr. Grant sie wieder erschreckt hatte. »Dann bringe ich Ihnen den Entwurf am besten
gleich.« Sie stand auf und war auch schon aus seinem Büro verschwunden.
»Tracie, kann ich kurz mal mit Ihnen reden?«, fragte Marcus sie am späten Nachmittag noch einmal. Habe ich eine Wahl?, fragte sie sich, und er trat in ihr Büroabteil. »Ich habe den Entwurf der Story über die Verwandlung von diesem Langweiler gelesen und bin zutiefst überrascht. Er ist wirklich gut. Für diese dämlichen Feiertagsartikel ist ihr Talent glatt verschwendet. Ich würde Ihnen gern ein paar andere Aufträge geben.«
Ist das sein Ernst? Was ist denn jetzt auf einmal los, dachte sie.
»Kommen Sie doch mal mit«, sagte er. Sie meinte, einen lüsternen Blick bemerkt zu haben, aber bei Marcus war fast jeder Gesichtsausdruck unangenehm.
»Ist das Ihr Ernst?«, fragte sie und hätte sich schon im nächsten Augenblick am liebsten die Zunge abgebissen. Sie musste endlich lernen, weder auf sein Lob noch auf seine Kritik zu reagieren. Wer bin ich eigentlich? Sein Schoßhündchen? Sie folgte ihm durch den langen Flur im hinteren Teil des Gebäudes und war so sehr in Gedanken versunken, dass sie es nicht merkte, als Marcus stehen blieb, und fast gegen ihn geprallt wäre. Er drehte sich zu ihr um. Im Flur war gerade niemand außer ihnen, und er lehnte sich an die
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