Tolle Maenner
die Hand nahm.
»Nicht schlecht«, räumte er ein, um etwas mehr Begeisterung bemüht. Dann warf er einen Blick auf das Preisschild auf der Sohle. Er wäre fast in Ohnmacht gefallen. Dafür konnte man ja eine moldawische Familie zehn Jahre lang durchfüttern!
»Das kosten gute Schuhe eben«, erklärte Tracie, als könnte sie seine Gedanken lesen. Er wusste, dass er besser den Mund hielt, wenn er auf ihre Hilfe Wert legte. Also gehorchte er und probierte die Schuhe an. Tracie zückte seine Kreditkarte, und schon waren sie gekauft. An der Kasse lächelte der Inhaber des Ladens sie an. Hinter ihm hing ein Schild, auf dem in Antiquaschrift stand: IN DEN SOHLEN LIEGT DIE SEELE. Tracie deutete darauf, nickte Jon zu und stieß ihn an, als wollte sie »Siehst du?« sagen. Jon ergab sich in sein Schicksal und schlüpfte in die Schuhe.
Vor dem Schuhgeschäft begutachtete Tracie Jon. Er trug die coolen Schuhe und das tolle Jackett, das sie entdeckt hatte, aber allmählich konnte er seine Müdigkeit nicht mehr verbergen. Armer Kerl. Nur noch ein paar Stationen.
»Du machst dich wirklich wunderbar«, sagte sie, nahm ihn bei der Hand und führte ihn über die Straße zu einer Parfümerie. Als sie auf dem Zebrastreifen einer jungen Frau begegneten, drehte sie sich nach Jon um. Ja! Tracie fiel allerdings auch auf, dass Jon ihr Interesse nicht einmal bemerkt hatte. Was ist nur los mit seinem Radar?, dachte sie. Vielleicht hat er es so lange nicht mehr benutzt, dass es irreparabel kaputt ist.
Sie stieß ihn an. »Du wirst beobachtet!«, flüsterte sie ihm zu.
Wie ein Vollidiot reckte er den Kopf in alle Richtungen, bevor er das Mädchen sah. Er erwiderte ihren Blick und drehte sich zu Tracies Entsetzen langsam im Kreis, um sich möglichst vorteilhaft zu präsentieren.
»Bist du bescheuert?«, zischte Tracie, packte ihn am Arm und zerrte ihn in den Laden. »Weißt du denn nicht, wie man sich benimmt?«, fragte sie ihn so streng wie eine Mutter, die ihren Neunjährigen tadelt. »Sie dürfen um keinen Preis merken, dass du zurückguckst.«
»Aber wie sollen sie dann merken, dass ich an ihnen interessiert bin?«
»Du sollst dich ja auch gar nicht für sie interessieren. Sie sollen sich für dich interessieren.«
»Aber wie kommen wir dann je zusammen?«, fragte Jon. Die Frage war eigentlich ganz vernünftig, aber irgendwie hatte Tracie diesen Teil der Geschichte nicht in Betracht gezogen. Sie hatte sich lediglich überlegt, wie sie ihn attraktiver machen konnte, nicht aber, wie sie es schaffen konnte, dass er mit dem Mädchen auf dem Zebrastreifen in Kontakt kam – obwohl das natürlich der Sinn der ganzen Übung war.
»Dazu kommen wir später«, sagte sie und schleppte ihn zu den Eau-de-Colognes und After Shaves für den Herrn. Eine Gruppe gelangweilter Verkäuferinnen wollte sich schon auf sie stürzen, aber Tracie schickte alle bis auf eine weg – die älteste und mütterlichste von allen. Die Verkäuferin besprühte verschiedene Körperregionen Jons – Handgelenk, Unterarm, Oberarm, Ellenbogen und Nacken – mit dreißig verschiedenen Düften. Tracie sah zu, wie Jon bei jedem Sprühen zusammenzuckte, und dachte, dass er immer ein wenig unbeholfen, aber doch irgendwie niedlich gewesen war. Jetzt fiel ihr auf, dass er aus der tapsigen Phase herausgewachsen war. Aber wann war das geschehen? Erst jetzt, mit den neuen Klamotten – oder war es schon früher passiert, und sie hatte es gar nicht bemerkt? »Wie finden Sie das?«, fragte die Verkäuferin immer wieder, und zwar auf eine ganz und gar nicht mütterliche Weise.
Tatsächlich rottete sich schon eine kleine Gruppe von Verkäuferinnen zusammen. Tracie betrachtete Jon. Sobald sie sein langweiliges, lahmes Äußeres geändert hatte, entpuppte er sich als recht niedlich, und die Art und Weise, wie er die Verkäuferin und
ihren Rat ernst nahm, war so süß, dass bald auch die anderen hinzukamen. Er hatte viel zu wenig Erfahrung, um zu wissen, dass es bei Düften noch stärker als bei allen anderen Produkten auf die richtigen Tricks ankam und dass eine Verkäuferin sich auch nicht scheute, einer Kundin mit Größe zweiundvierzig zu erklären, ein Rock in Größe achtunddreißig stünde ihr »einfach großartig«. Wie schon ihre fiese, aber durchaus clevere Stiefmutter zu sagen pflegte: »Die lügen so selbstverständlich, wie sie atmen.« Jetzt hatten sich zum Kreis um Jon auch zwei jüngere Frauen – eine Blondine und eine mit furchtbar künstlichem rotem Haar –
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