Tolle Maenner
E-Mail nach der anderen hinaus, als in der Tür hinter ihm plötzlich Samantha erschien. Er sah ihr Spiegelbild im Monitor.
»Jon, hätten Sie eine Minute Zeit?«
Jon erlaubte sich, zu ihr aufzusehen, aber nur ganz kurz. »Im Augenblick leider nicht«, sagte er. »Ich bin ziemlich beschäftigt.« Er senkte den Kopf, um ein Lächeln zu verbergen. Konnte sich das Schicksal eines Mannes mit einer einzigen Glückszahl, einer einzigen Nummer im Heu wenden? Das konnte doch nicht sein, oder?
»Ich... ich wollte mich noch mal wegen dieser blöden Sache von neulich entschuldigen.«
»Was denn für eine blöde Sache?«, fragte er. Das Telefon klingelte. Ja! »Eine Sekunde, bitte, Sam.« Er nahm den Hörer ab. Als er die Stimme hörte, fand er es fast schon zu schön, um wahr zu sein. »Oh, hallo Ruth. Klar erinnere ich mich an Sie.« Unglaublich! Wieso hatte er auf einmal so ein unverschämtes Glück? Er konnte mit Ruth reden, während Sam zusah. Es gab doch einen Gott. »Um ehrlich zu sein, bin ich seither nicht mehr geklettert«, erklärte er Ruth, während er im Monitor Sams Spiegelbild beobachtete. »Nein, das würde ich gern machen. Mit Ihnen. Das wäre wunderbar. Also bis bald, Ruth.« Er legte auf.
»Tut mir Leid«, sagte er zu Sam, bis ihm wieder einfiel, dass er sich nie für etwas entschuldigen sollte.
»Schon gut«, sagte sie und trat vorsichtig in sein Büro. »Sie erinnern sich doch noch an den Samstag, an dem wir uns treffen wollten?«
»Wann war das noch mal?«, fragte er, obwohl er sich noch sehr lebhaft an den Abend erinnerte, an dem er im Regen gestanden hatte.
»Ach, nicht so wichtig.« Er hatte den Eindruck, dass sie errötete. War das möglich? Hatte er es geschafft, die schöne Samantha, die unbestrittene Königin der Marketingabteilung, zum Erröten
zu bringen? »Ich wollte nur sagen«, fuhr sie fort, »dass wir ja heute Abend ausgehen könnten, wenn Sie Lust haben.«
Jon blickte fröhlich zu ihr auf, bevor er sich ein dezentes Stirnrunzeln abrang. »Das wäre wirklich nett. Vielleicht ein andermal. Ich hab gerade ein Kletter-Date vereinbart.« Er legte eine Kunstpause ein. Herrlich war das. »Sie klettern nicht zufällig?«
»Nein, leider nicht.« Nun legte Sam eine kurze Pause ein. »Ich würde es aber gern mal versuchen.«
»Vielleicht klappt es ja mal«, meinte er vage.
»Wunderbar, Jon. Gehen Sie zum Mittagessen in die Cafeteria?«
»Wahrscheinlich«, sagte er. Und dann sagte er nichts mehr. Absolut nichts. Er sah zu, wie sie versuchte, sein Büro zu verlassen. Erst als sie sich bewegte, sprach er wieder. »Ach ja, Samantha... meine Freunde nennen mich Jonny.«
»Wunderbar, Jonny«, sagte sie. »Haben Sie eigentlich noch meine Nummer?«
Er nickte, aber kaum merklich. Dann sah er zu, wie Samantha aus seinem Büro und durch den Flur ging. Er stand auf, schloss ruhig die Tür und tobte in einem wilden Siegestanz um seinen Schreibtisch.
Erst am späten Nachmittag – nach der Parsifal-Sitzung und längst überfälligen Telefongesprächen – hatte Jon Gelegenheit, schnell ein Sandwich zu verschlingen, seiner Mutter eine Nachricht auf Band zu sprechen und zur Toilette zu gehen. Er saß in einer der Kabinen und war schon fast fertig, als er Ron und Donald hörte.
»Ich weiß auch nicht«, sagte Ron. »Er hat auf mich den Eindruck gemacht, als tappte er völlig im Dunkeln.«
»Im Dunkeln? Er hat so wenig durchgeblickt wie ein Blinder in stockfinsterer Nacht!«, erwiderte Donald.
Ron und Donald waren vermutlich zwei seiner besten Köpfe, aber Ron war mit rotem Haar geschlagen, das fast rosa wirkte und schon früh licht wurde, während Donald selbst auf Zehenspitzen
nicht viel größer als einen Meter sechzig sein konnte. Beide waren brillant auf ihrem Gebiet, aber ein strahlender gesellschaftlicher Erfolg – wie es in den entsprechenden Kolumnen immer so schön hieß – war ihnen nicht beschieden. Sie hingen ständig zusammen und wurden deshalb von allen bei Micro/Con schon »RonDon« genannt. Jetzt hatte Jon das unangenehme Gefühl, dass sie sich über ihn unterhielten.
»Hallo, George«, sagte Donald. Es war also noch jemand dazugekommen. »Hast du eine Ahnung, was heute in der Sitzung mit Jon los war?«
»Keine Ahnung, aber irgendwie war er nicht ganz da. Er hatte vom Database-Projekt keinen Schimmer«, bestätigte George. »Und das mit dem Zeitplan war auch nicht meine Schuld.«
Jon schluckte. George hatte völlig Recht. Er hatte alle seine Anrufe verpasst.
Die Spülung
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