Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)
Rock aus und klopfte die Strickjacke ab.
Einen Moment später wurde die Zimmertür aufgerissen.
Madame trug einen Hut mit Schleier, doch Kate sah durch den Stoff den grell geschminkten Mund. In ihrem roten Kleid wirkte sie wie eine Rachegöttin. In der Hand hielt sie ein Buch aus Gustavs Bibliothek, das Kate sofort erkannte. Das schwarze Giftbuch.
»Wieso arbeitest du nicht im Labor? Warum füttere ich ein undankbares Geschöpf wie dich überhaupt durch, du Armenhäuslerin?«, herrschte sie Kate an und schlug ihr mit dem Handrücken ins Gesicht.
Eine Antwort hätte nur weitere Prügel provoziert, so schwieg Kate und senkte demütig den Kopf. Sie leckte über die brennenden Lippen und schmeckte Blut.
»Hier. Fertige mir diese Mischung an. Bring sie mir in den Salon. Wehe, du lässt mich warten.«
Madame drückte ihr das aufgeschlagene Buch in die Hand und pochte mit der Spitze ihres Fingernagels auf die Seite.
Kate wagte einen schnellen Blick und holte tief Luft.
Eine Salbe mit Eisenhut.
Madames Aufträge waren manchmal sonderbar. Mal war in den Pillen das Arsen viel zu hoch dosiert, wie heute. Dann musste sie einen Hustensirup anfertigen, der einiges mehr an Zucker enthielt als nötig. Kate vermutete, damit das zusätzlich beigefügte Strychnin nicht ganz so bitter schmeckte.
All die Besonderheiten mochten sich irgendwie erklären lassen, aber wenn diese Mischung auf die Haut aufgetragen wurde, wirkte sie tödlich.
Madame unterbrach jede Überlegung.
»Beweg dich, faule Brut.«
Sie kniff ihr so heftig in die Wange, dass Kate vor Schmerzen aufschrie.
Die Aufforderung reichte. Schnell eilte Kate ins Labor.
Während sie wie im Flug die Eisenhuttinktur in das Wollwachs einarbeitete, achtete sie darauf, nichts davon an die Hände zu bekommen. Weshalb sie vorsichtshalber den Griff des Stößels mit Papier umwickelt hatte. Ihre Gedanken flogen.
Die Salbe musste von enormer Bedeutung sein, wenn Madame deshalb ins Haus gekommen war.
Kate berührte ihre Wange. Es befand sich Blut auf den Fingerkuppen. Die Fingernägel ihrer Herrin hatten bleibende Spuren hinterlassen. Als wären an der Stelle nicht bereits genug kleine Narben.
Was geschah mit ihr erst, wenn sie Madames Räume betrat? Sobald sie fertig war, begab sie sich zum Salon. Mit schweißnassen Fingern umklammerte sie das Salbengefäß. Ihr war übel, sosehr fürchtete sie sich, Madames innerstes Reich zu betreten.
Im Salon war Kate seit dem Tag ihrer Ankunft nicht mehr gewesen. Seitdem waren so viele Jahre vergangen, dass sie sich kaum an die Räumlichkeit erinnerte.
Kate klopfte an die mächtige Eichentür. Als sich niemand meldete, wagte sie es, ein weiteres Mal zu klopfen. Diesmal lauter und länger. Keine Reaktion. Madame hatte sie gewarnt, sie warten zu lassen, und ausdrücklich gesagt, sie sei im Salon. Vorsichtig drehte sie den Knauf, drückte die Tür auf und spähte hinein. Nur ein paar Kerzenlichter erleuchteten den Raum. Die schweren Vorhänge vor den geöffneten Fenstern bewegten sich leicht, hielten das Tageslicht fern.
»Madame? Darf ich eintreten?«, rief sie.
Die Tür am anderen Ende des Salons stand offen.
Kate überlegte, hineinzuhuschen, den Salbentopf irgendwo abzustellen und zu verschwinden. Schließlich nahm sie ihren Mut zusammen und ging zwei Schritte weiter.
Sie rief nochmals nach Madame. Vergebens. Nervös blieb sie stehen, wartete und sah sich um, soweit es das spärliche Licht zuließ.
Als Gustav sie damals in diesen Raum gezerrt hatte, war all ihre Aufmerksamkeit auf Madame und ihren Fächer gerichtet gewesen.
Heute ergab sich die einmalige Gelegenheit, zu sehen, wie sie lebte.
Prunkvoll
, kam Kate als Erstes in den Kopf. Der Teppich musste ein wahres Vermögen gekostet haben, ebenso wie die Tapeten. Auf den breiten Sofas an den Wänden türmten sich unzählige Kissen, die im Kerzenlicht glänzten, als wären sie aus Gold. Sie wirkten achtlos hingeworfen, waren teilweise auf den Boden gefallen, als habe sich jemand in ihnen gerekelt. Von der Decke hingen exotische Leuchter in den unterschiedlichsten Formen und bunte Vorhänge reichten bis auf den Grund, als wollten sie diesen umschmeicheln.
Kate irritierten die lebensgroßen Statuen in den Ecken und die kleinen Figuren auf den niedrigen Tischchen. Aus Gustavs Büchern kannte sie Fotos und Zeichnungen von griechischen und römischen Kunstwerken. Diese nackten Männer und Frauen hingegen sahen seltsam verzerrt aus, waren an den peinlichsten Stellen anders gebaut, als
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