Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)
verlassen hatte. Hastig baute sie die Salbenmaschine auseinander. Der Hausmeister hatte offensichtlich Kohle nachgelegt, denn das Leitungswasser war warm genug, um damit abwaschen zu können. Nach dem Abtrocknen setzte sie die Walzen wieder ein. Ihre Finger stellten sich ungewohnt ungeschickt an, und sie brauchte zwei Anläufe, bis die Halterungen endlich einschnappten.
Die Aufregung hatte sie hellwach werden lassen, an Schlaf war nicht zu denken.
Kate wippte auf und ab, überlegte. Ihre Herrin blieb meist bis weit in die Nacht auf. Sie könnte die Gelegenheit nutzen und kurz im Geheimgang, der zu Madames Räumen führte, überprüfen, ob sie mehr über deren Drohung erfuhr.
Wieder schlich Kate durch die Gänge und suchte diesmal die Bibliothek auf. Kaum hatte sie die Tür geöffnet, blieb sie wie angenagelt stehen. Der Lichtkegel der Petroleumlampe fiel auf etliche Bücher, die kreuz und quer auf dem Boden verstreut lagen. Madame musste die Bände bei der Suche nach dem Giftbuch achtlos aus den Regalen gerissen haben. Gustav würde schier außer sich sein! Schon ein einzelnes Eselsohr verärgerte ihn maßlos. Hoffentlich ließ er seine Wut nicht an ihr aus.
Vorsichtig bahnte sie sich einen Weg durch das Schlachtfeld bis in den angrenzenden Raum.
Die Geheimtür verbarg sich gut getarnt im hinteren Bereich des Kamins, unsichtbar für jeden, der nicht genau wusste, wo er suchen musste.
Früher hatte Kate häufig mit einer imaginären Freundin gespielt, wenn sie sich allein im Haus befand, und die Bibliothek war einer ihrer Lieblingsorte gewesen. Beim Verstecken spielen kletterte sie dabei einmal tief in den Kamin und stieß sich das Knie an einem vorstehenden Haken. Erst schimpfte und jammerte sie, doch sobald der Schmerz nachließ, erforschte sie, warum das Metallstück an einer so unsinnigen Stelle angebracht war. Als es sich nach unten drücken ließ, ahnte und hoffte sie bereits, dass sich hier der Zugang zu einem weiteren Versteck verbergen könnte, ähnlich dem Geheimgang in ihrem Zimmer. Was sie fand, machte den Ärger wett, den sie später mit Gustav wegen ihres verschmutzten Kleides bekam. Ein Hohlraum hatte sich aufgetan, der sich als Ausgangspunkt eines abenteuerlich verzweigten Gangs entpuppte.
Um die Schuhe zu schützen, legte Kate die Ascheschaufel in den Kamin, stieg auf das Blech und trat auf den Metallhaken. Ein Knirschen belohnte sie und ein Schlitz entstand, der sich schnell erweiterte.
Sie schlüpfte hindurch und vermied dabei, die rußigen Kaminwände zu berühren.
Zum Glück reichte die Ganghöhe, um aufrecht laufen zu können. Ab und zu streifte sie ein Spinnennetz. Wie sie das Gefühl von klebrigen Fäden im Gesicht hasste! Der Gedanke, dass die Tierchen durch ihr Haar krabbelten und in die Kleider krochen, verfolgte sie geradezu. Endlich traf sie auf die Gabelung und wählte die Abzweigung nach unten. Vorsichtig kletterte sie die uralte Holzleiter hinab und folgte dem anschließenden Gang. Ein paar Schritte später drang bereits eine Männerstimme bis zu ihr. Gustav. Sie senkte die Lampe auf den Boden und lauschte seinen Worten.
»Ein ziemliches Risiko, sie aufeinandertreffen zu lassen. Attenburg weiß weiterhin nichts von ihrer Existenz, oder?«
»Nein. Eine Frau sollte ihre Trümpfe nie grundlos ausspielen, mein Lieber«, antwortete Madame.
Kate fuhr sich über die Haare, um eventuelles unerwünschtes Getier abzustreifen. Worüber redeten die beiden nur?
»Ich habe sie sogar noch einmal zurückgerufen, doch für Leute wie Brucie sind Dienstboten unsichtbar. Aber du hättest den Gesichtsausdruck deines Hündchens sehen sollen, als ich ihr androhte, du würdest ihr einen Finger abschneiden. Einfach köstlich.«
Madame kicherte los, als hätte sie gerade einen Witz gemacht.
Offenkundig unterhielten sich die beiden über Kate und Madames Besucher, wobei sie nicht verstand, warum dieser Brucie sich für ein Nichts wie sie interessieren könnte.
»Zu schade, dass eine derartige Maßnahme ihren Wert unnötig verringern würde«, setzt Madame hinzu.
Es klirrte, als schlügen Gläser aneinander.
»Audra, manchmal frage ich mich, ob du ein menschliches Wesen bist, oder ein aus der Hölle gesandter Dämon«, sagte Gustav schließlich.
»Na, na. Für dich bin ich ein Engel.«
Gustav lachte. Ausgelassen und zufrieden klang es. Kate traute ihren Ohren kaum. Nie zuvor hatte sie den Mann in derart guter Laune erlebt. Gustav zu einer Regung des Gesichts zu bewegen, die keine Missbilligung
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