Tollkirsche und Korsett: Kates Hunger nach Freiheit (German Edition)
durchbohrenden Blicken. Dennoch fand Kate am Abend vor der Ankunft einen unter ihrer Tür durchgeschobenen Zettel.
»Verlass dich auf uns!«, stand darauf.
In der Nacht ging sie in den Salon und sah aus dem Fenster. Der Himmel war übersät mit funkenden Sternen und das Licht des fast vollen Mondes spiegelte sich auf dem tiefschwarzen Meer. Ab und zu glaubte sie, unter sich auf den Wellenbergen eine Schaumkrone zu erkennen.
»Wunderschön«, flüsterte sie.
Diesen Augenblick würde ihr nie wieder jemand fortnehmen, was immer morgen geschah.
Sie frühstückte ganz früh im beinahe menschenleeren Salon und wartete dann in ihrer Kabine auf die Landung. Endlich klopfte es und der ihr bereits bekannte Offizier erschien. Auch diesmal gab er sich keine Mühe, höflich zu sein. Sobald er sich von ihrer Gegenwart überzeugt hatte, zog er wortlos den Schlüssel ab, schlug die Tür hinter sich zu und sperrte sie ein. Sie verzog das Gesicht. Obgleich sie mit diesem Verhalten gerechnet hatte, umklammerte sie den Dietrich in ihrer Manteltasche, bis das Metall schmerzhaft in die Handinnenfläche drückte. In der letzten Nacht hatte sie das Schloss mit dem Metallhaken mehrfach problemlos geöffnet, dennoch hasste sie das Gefühl, wieder gefangen zu sein.
Das Abwarten war eine Qual. Zäh tropften die Minuten dahin, und sie fror und schwitzte vor Anspannung.
Draußen entwickelte sich Hektik. Stimmen, dazwischen fernes Lachen. Sie horchte und verstand doch kein Wort. Das Anschlagen der Flugschiffsglocke übertönte alle Unruhe. Etwas knallte gegen die Tür.
Vermutlich ein Koffer
, beruhigte sie sich. Von weiter her hörte sie ein Kreischen, das sich immer mehr steigerte. Trotz ihrer Nervosität musste sie lächeln. Brigit und Fiona hatten sie nicht im Stich gelassen. Dem Lärm nach gaben sie ihr Bestes.
Sie griff sich die Reisetasche und steckte den Dietrich ins Schloss. Die Tür öffnete sich fast lautlos. Ein vorsichtiger Blick. Falls jemand auf sie aufpassen sollte, hatten die Schwestern ihn abgelenkt. Eine dicke Dame im Pelzmantel drückte sich an ihr vorbei und redete ununterbrochen auf ihren Mops ein, der ihr höchst unwillig hinterhertrottete. Der Steward, der ihr folgte, trug schwer an zwei gewaltigen Koffern. Kate gab sich einen Stoß und drängelte sich zwischen ihn und die Frau. Einen besseren Sichtschutz fand sie nie.
Vom hinteren Salonbereich drang weiterhin wütendes Kreischen bis zu ihr. Brigit und Fiona schienen wirklich Gefallen an der Vorstellung gefunden zu haben.
Endlich lag der Ausgang vor ihr. Noch ein kurzes Stück und sie stand auf der Gangway.
Wenn nur die Dame vor ihr nicht so langsam wäre!
Die Beine zitterten jetzt so stark, dass sie Angst bekam, dadurch aufzufallen. Doch statt sie zurückzuhalten, wünschte der Matrose, der der Frau im Pelz über die Schwelle geholfen hatte, ihr nur eine gute Zeit in Neuanglia. Sie dankte ihm von ganzem Herzen und sog die frische Luft in die Lungen, genoss den Geruch nach Fremde und neuen Möglichkeiten.
Nun musste sie nur noch die Einreisekontrolle passieren und danach lag die Welt vor ihr. Falls ihr Vater nur den Kapitän des Flugschiffes benachrichtigt hatte, was sie annahm, sollte dieser Teil einfach umzusetzen sein. Wahrscheinlich hatte der Funkspruch sie sogar gerettet, denn sonst hätte man sie jetzt bei der Einreise abgepasst und eingefangen. Je eher sie von hier verschwand desto besser. Jeden Augenblick konnte ihr Entkommen bemerkt werden und dann würde man ihr sicher hinterherjagen.
28. Fr emde Welt
Trotz ihrer Drängelei dauerte es, bis sie endlich an die Reihe kam, ihre Papiere vorzuzeigen. Sie lenkte sich damit ab, die Plakate an den Wänden zu betrachten. In roten Großbuchstaben wiesen sie darauf hin, alleinreisende jüngere Frauen müssten von Familienmitgliedern oder dafür autorisierten Personen abgeholt werden. Andernfalls hielte man die Betroffenen bis zur Klärung der Angelegenheit fest und schicke sie gegebenenfalls zurück. Hastig überflog sie die weitere Erklärung. Demnach hatten in der Vergangenheit zu viele junge Frauen windigen Versprechungen irgendwelcher neuen Bekannten geglaubt, waren in schlechte Gesellschaft geraten und daran zugrunde gegangen.
Wenn sie an die Erfahrungen mit den drei Einbrechern und deren Chef zurückdachte, hätte sie leicht eine dieser erwähnten Neuankömmlinge werden können.
Vermutlich hätte man sich in Waterlon geweigert, einer alleinreisenden jungen Frau überhaupt ein Flugticket zu verkaufen.
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