Tolstoi, A. K.
„Die Familie des Wurdalak“ nie selbst veröffentlicht. Der Text wurde erstmals 1884 auf Russisch übersetzt veröffentlicht. Die originale, französische Ausgabe wurde 1950, mehr als hundert Jahre später, zum ersten Mal publiziert.
Entgegen gewissen Behauptungen kann man nicht mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit sagen, ob Tolstoï den „Wurdalak“ auf die Geschehnisse von 1725 in Kisolova stützt, aber es ist offensichtlich, dass es doch einige Parallelen zwischen den zwei Geschichten gibt. Da wir wissen, dass Tolstoï historische Genauigkeit schätzte (wie es auch durch einige Aussagen im „Wurdalak“ klar wird), kann man davon ausgehen, dass er sich im Vorhinein genau informieren würde, bevor er sich auf historische Ereignisse stützen würde.
Des Weiteren waren diverse literarische Werke eine wichtige Inspiration für Tolstoï. Wir können wohl ohne zu zögern es wagen, zu behaupten, dass Goethes Gedicht „Die Braut von Corinth“ eine sehr wichtige Rolle in der Entwicklung der Liebesgeschichte zwischen d‘Urfé und Sdenka gespielt hat. Auch Polidoris „The Vampyre“ hat wohl in der Definition, entfernter in der Namensgebung, seinen Teil beigetragen, indem er Tolstoï auf die Idee der ganz speziellen Gattung der Wurdalaks brachte. Zuletzt müssen wir hier natürlich auch Gogols Werk, den „Wij“ erwähnen, das zwar nicht in der Geschichte selbst, aber in der Art der Bilder seinen Teil beigetragen hat. Gogol hat Tolstoï möglicherweise auf die Idee diverser absurder Bilder gebracht – nicht zuletzt die ganz spezielle Endszene.
Obwohl dem Autor gewisse Fehler unterlaufen sind (wie wir annehmen müssen), ist es doch verständlich, dass er dieses Werk seiner Jugend im Erfolg seines Alters wohl vergessen hatte. Vielleicht müssen wir dankbar sein, dass dieses kleine Juwel der Vampirliteratur nicht mehr von seinem Schöpfer revidiert wurde, sondern direkt in die Hände eines Übersetzers gelangt ist. Denn wie würden wohl die Wurdalaks heute aussehen, hätte sie ihr Erschaffer nochmals in die Hände bekommen? So können wir sichergehen, dass dieses rare Meisterwerk des Zeitgeistes der Anfänge der Vampirliteratur uns so, wie es geschaffen wurde – als kleiner, ungeschliffener Diamant – im Kanon der Littérature des Vampires für immer erhalten bleiben wird.
6. Anmerkungen
1
Das Interesse der Engländer für Vampire kommt direkt aus Deutschland. Im 18. Jahrhundert waren die Universitäten Deutschlands der Mittelpunkt der Debatten über Vampirepidemien und die daraus folgenden Massenhysterien. Diese Debatten führten zur Publikation von Monografien und philosophischen Abhandlungen über Vampire“ (Übersetzung: Stéphanie Queyrol).
2
Erstmals 1746 erschienen. Deutscher Titel: „Gelehrte Verhandlung von denen sogenannten Vampiren oder zurückkommenden Verstorbenen in Ungarn, Mähren etc.“
3
Die Idee des gebildeten, anziehenden Vampirs kennen wir auch von Sheridan Le Fanus „Carmilla“ (1871) und schließlich auch aus dem bekanntesten Vampirroman „Dracula“ (1897) von Bram Stoker.
4
„Durch John Keats, und später Polidori, Le Fanu oder Stoker wird sich der Charakter des Vampirs auszeichnen, um von der giftigen Vampirin in einen finsteren Vampir zu metamorphosieren.“ (Übersetzung: Stéphanie Queyrol)
5
„Vielleicht kann man darin auch die ersten Besorgnisse der Glaubhaftigkeit und der Genauigkeit eines Historikers sehen: Tolstoï mag es seine Figuren in ihrer Muttersprache sprechen zu lassen, er mag die historischen Details und die Referenzen zur Geschichte.“ (Übersetzung: Stéphanie Queyrol)
6
Bluttaufe: das Austauschen von Blut zwischen dem Vampir und seinem Opfer, sodass das Opfer selbst zum Blutsauger wird.
7
„In vielen Teilen Griechenlands glaubt man, dass der Verstorbene als Strafe nach seinem Tod zum Vampirisieren verdammt ist, aber er ist gezwungen seine höllischen Besuche nur auf die Wesen zu beschränken, die er am meisten liebte, als er noch auf Erden wandelte – jene, zu welchen er durch Verwandtschaft und Zuneigung gebunden war.“ (Übersetzung: Stéphanie Queyrol)
8
Gemäß Gogol ist der Wij „eine kolossale Schöpfung der Volksphantasie“, er ist der „König der Gnomen“ und seine „Augenlider [reichen] bis an die Erde“ (Gogol 2012: 2).
9
„Die Metamorphose eines französischen Märchens in ein russisches Märchen, die Metamorphose vom Realismus und der Glaubhaftigkeit zum Hervorsprudeln verrückter und eindringlicher Bilder, – die
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