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Tolstoi, A. K.

Tolstoi, A. K.

Titel: Tolstoi, A. K. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Familie des Wurdalak
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Einflüssen auf Tolstoïs „Die Familie des Wurdalak“ abgeschlossen.

4. Logik des Zeitablaufs innerhalb der Erzählung (10)

    In diesem Kapitel werden wir „Die Familie des Wurdalak“ ein bisschen genauer anschauen. Ich will die Erzählung in diesem Kapitel nicht interpretieren, es geht nur um die Logik im Werk selbst und um dessen Hintergründe.

    Dem aufmerksamen Leser wird zuerst der falsche Zeitablauf bewusst. Der Marquis erzählt die Geschichte im Jahr 1815 (2012: 11), das ist unbestritten. Als er seine Erzählung anfängt, sagt er: „Also werde ich Ihnen ohne weitere Umschweife sagen, dass ich im Jahre 1759 über alle Maßen in die hübsche Herzogin de Gramont verliebt war“ (2012: 13). 1759 ist also das Jahr, in dem sein Abenteuer anfängt. Jeder Leser ist sich bewusst, dass einige Zeit in der Erzählung vergeht. D’Urfé reist durch ganz Europa, bleibt einige Zeit bei Gorchas Familie und reist wieder zurück. Da müsste man davon ausgehen, das Ende des Abenteuers sei frühestens im Jahre 1760. Doch als der Marquis zu Gorchas Familie zurückkehrt und einen intimen Moment mit Sdenka verbringt, sagt er „[…] bedenkt, dass wir uns im Jahre des Herrn 1758 befanden“ (2012: 48). Hier ist dem Autor ganz klar ein Fehler unterlaufen. Dies ist der erste Logikfehler, der sich in der Erzählung eingeschlichen hat, doch es bleibt nicht der Einzige.

    Tolstoï scheint Probleme mit dem zeitlichen Ablauf seiner Geschichte gehabt zu haben. Der zweite Fehler in der Logik, der sich eingeschlichen hat, ist folgender: Als der Marquis d‘Urfé in Jassy politische Angelegenheiten zu erledigen hat, sagt er, dass er sie erst nach sechs Monaten beenden konnte (2012: 41). Er kehrt darauf nach Frankreich zurück und gelangt auf seiner Rückreise wieder zu Gorchas Familie, wo der Leser erfährt, dass der Marquis zwei Jahre weg gewesen ist (2012: 47). In diesem Fall scheint der Fehler schnell lösbar zu sein; der Marquis musste natürlich reisen. Er war noch in Serbien und musste nach Moldawien gelangen, dort seine Angelegenheiten erledigen, um wieder zurückzukehren. Wenn man annimmt, dass die Angelegenheiten sechs Monate dauerten (wie in der Erzählung behauptet wird) und der Marquis für die Hin- und Rückreise eineinhalb Jahre gebraucht hat, so geht die Rechnung wieder auf. Doch wenn man beachtet, dass die Strecke um die 900 Kilometer beträgt und diese, zu damaligen Zeiten, in maximal vierzehn Tagen (ein Weg) bewältigt werden konnte, wird diese Erklärung ein wenig unlogisch und wir müssen weiter im Text nach Erklärungen suchen. Wir könnten auch davon ausgehen, dass die Gastfreundschaft der Frau des Gospodars und die neuen Bekanntschaften, die d‘Urfé in Moldawien machte, ihn dazu veranlassten, ein wenig mehr als sechs Monate dort zu verbringen. Dies wäre eine durchaus logische und mögliche Erklärung für den großen Zeitunterschied, doch bleibt es nur Spekulation. Wir können nicht wissen, was der Autor sich dabei gedacht hat.

    Wie können einem Autor solche Fehler unterlaufen? Was ist der Grund, weshalb diese von ihm beim Revidieren nicht korrigiert wurden? Auch wenn wir Vermutungen anstellen können, was den Wechsel der Sechs-Monate-Zeitspanne zur Zwei-Jahres-Zeitspanne angeht, so ist es unmöglich, vom Jahr 1759 auf das Jahr 1758 zu schließen. Den einzigen Anhaltspunkt dies zu erklären bietet uns Lequesne, der schreibt, dass
    On peut légitimement supposer qu’il ne s’agit au départ que d’un exercice de style, une manière de s’essayer à la littérature française, une manière de se mesurer à un genre déjà réglé et convenu : celui du conte fantastique et du roman noir. (11) (1993 : 11-2)
    Angenommen Tolstoï schrieb diese Erzählung nur, um sich gemäß Lequesnes Aussage an einem Stil und Genre zu üben, und nie die Absicht hatte, dieses Werk zu veröffentlichen, scheint es klar, dass er nicht übermäßig viel Arbeit dafür investierte, sondern einmal die Geschichte beendet, sie in einer Schublade liegen ließ, bis sie wieder entdeckt wurde und 1884 auf Russisch übersetzt schließlich erschien.

5. Schlusswort
    Wie wir nun gesehen haben, ist es nicht ganz so einfach, klare Schlüsse zu ziehen. Auch wenn die Information, die wir besitzen, eindeutig zu sein scheint, müssen wir uns immer dessen bewusst sein, dass sie doch Spekulation bleibt.
    Zusammenfassend können wir nun sagen, dass Tolstoï die Erzählung wohl 1840 geschrieben hat, und sie spätestens im Jahre 1841 beendete. Er hat

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