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Tolstoi Und Der Lila Sessel

Tolstoi Und Der Lila Sessel

Titel: Tolstoi Und Der Lila Sessel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Sankovitch
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ich genug Zeit zum Lesen und für unser krankes Kind hatte. Samstagabend, Buch ausgelesen, Kinder im Bett: Inspiriert von Wharton, machte ich mich auf die Suche nach Jack, um ihm ein paar längst überfällige Liebesbeweise zu erbringen. Aber er lag tief schlafend auf dem Sofa, und sehr bald schlief ich nicht minder fest auf dem anderen Sofa, während der Fernseher lief. Die Liebesbeweise mussten auf ein andermal verschoben werden.
    Montagmorgen, Martin war wieder völlig gesund. Meine vier Söhne stiegen mit nur mäßigem Gegrummel in ihre Schulbusse. Ich duschte, zog mich an, schenkte mir eine frische Tasse Kaffee ein und setzte mich an den Computer, um ganz schnell die Besprechung von Schikanen zu schreiben, dem neuesten Dick-Francis-Krimi, den ich am Sonntag gelesen hatte. Sonntag war mein Krimitag, der Tag, an dem ich mir meine Ration Süßes in Form von schnellen, fesselnden Detektivgeschichten, Kriminalromanen und Thrillern gestattete.
    Schikanen zu lesen hatte großen Spaß gemacht, aber zu besprechen war es schwieriger, als ich erwartet hatte. Wie ließ sich der Unterhaltungswert eines guten Dick Francis vermitteln, ohne zu verschweigen, dass die Handlung sich nach dem immer gleichen Schema entwickelt? Über zwei Stunden lang rang ich mir etwas ab und lehnte mich dann zurück, um die Rechtschreibung zu korrigieren. Das Telefon klingelte, und voller Sorge, dass der nächste Magen-Darm-Virus mir das Leben schwer machen wollte, drückte ich auf eine falsche Taste am Computer. Als ich vom Telefonieren zurückkam (jemand wollte wissen, wie zufrieden ich mit unserem Kabelanbieter war; verdammt!; ich durfte auf keinen Fall vergessen, vor dem Abheben nachzusehen, wer dran ist), hatte ich einen leeren Bildschirm vor mir – das, womit ich den gesamten Morgen zugebracht hatte, war gelöscht.
    Als ich mich endlich wieder abgeregt und eine neue Kritik in die Tastatur gehackt hatte, war es Mittag. Ich hatte keinen Hunger. Ich war frustriert. Mittagessen und Wäschewaschen waren gestrichen, genau wie mein Plan, das große grüne Sofa, sprich Krankenbett, zu desinfizieren. Ich musste mir das Buch des Tages vornehmen, und zwar sofort. Ich schnappte mir Der Meister von Petersburg von J. M. Coetzee aus dem Regal, ließ mich in den lila Sessel fallen und fing an zu lesen. Ich hatte den Eindruck, es seien nur wenige Minuten vergangen, als die Terrassentür aufging. Das fröhliche Lärmen heimkehrender Jungen hallte durchs Haus.
    Wieder las ich bis Mitternacht. Das wirkliche Leben hatte mich den ganzen Nachmittag von meinem Buch ferngehalten. Ich dachte an Edith Whartons »Glück des Schenkens«, als ich die Kinder hierhin und dahin chauffierte, schnell einmal durch den Supermarkt rannte (Brot, Bananen, Milch, Orangensaft – mein tägliches Mantra von dem, was uns immer ausging), zum Bahnhof fuhr, um Jack abzuholen, und die Waschmaschine mit Wäschebergen vollstopfte. Alle wollten Abendessen – so eine Überraschung! Ich ließ ein paar Hähnchenfilets anbrennen und machte einen Salat aus der Tüte an. Nach dem Essen räumte ich den Tisch ab, legte die trockene Wäsche zusammen, schaffte ein wenig Ordnung und schickte die Kinder ins Bett. Als ich mich endlich wieder Coetzee und Dostojewski zuwenden konnte, war es zehn Uhr abends. Ich war todmüde. Ich saß allein unten, während mein Mann allein oben im Bett lag: Liebesbeweise gab es mal wieder keine – morgen war auch noch ein Tag.
    Das »Glück des Schenkens«, das ich aus der Versorgung meiner Familie zog, und mein Zeitplan lagen im Clinch miteinander. Lesen, Schreiben, Kochen und Putzen konnte man planen. Aber wie sollte man Liebe und Fürsorge in einen Plan packen? »Das Glück des Schenkens« musste für eine Weile andersherum funktionieren: Mann und Kinder mussten sich stärker ins Zeug legen, um mir und meinen Büchern Zeit und Raum zu geben. Ein Buch am Tag? Ein Jahr lang? Ich würde so viel Zeit und Raum – und Liebe – brauchen, wie sie mir nur schenken konnten. Und ich schwor mir, es ihnen mit all dem Glück zurückzuzahlen, das ich finden würde.

5
Neue und alte Gewohnheiten
»Die wunderliche Welt dreht sich weiter.«
ROSE HAWTHORNE , zitiert in:
PAUL AUSTER , Mann im Dunkel
      Am nächsten Tag verkündete ich beim Abendessen neue Haushaltsregeln. Ich hatte einen Putzplan aufgestellt. Die beiden Großen mussten abwechselnd je zwei Tage hintereinander nach dem Abendessen abwaschen und aufräumen, am Wochenende war ich dran. Die beiden Kleineren mussten

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