Tolstoi Und Der Lila Sessel
heißt grandios, großartig, blühend, gedeihend. Jahrelang war das Leben mit unseren vier Jungen ein Blühen und Gedeihen. Bücher bildeten den Mittelpunkt unseres Lebens mit regelmäßigen Besuchen in Bibliothek und Buchhandlung. Mit Büchern lassen sich Kinder vorm Einschlafen beruhigen, beim Essen ablenken (ein gutes Buch kann einen Vierjährigen über die Tatsache hinwegtäuschen, dass er gerade etwas Grünes isst) und bei Bedarf begeistern und inspirieren. Wenn die Kinder herumtollen und Dampf ablassen mussten, setzte ich Musik ein. Bei der Wilhelm-Tell -Ouvertüre dauerte es keine Minute, bis wir durch die Küche tobten, und zu Madonna und Prince konnte man herrlich auf Sofas und Tischen tanzen.
Nachdem wir aus der Großstadt fortgezogen waren und mit einem Mal, drinnen wie draußen, Unmengen von Platz hatten, wurden wildes Herumrennen, Schreien, Fangen und Verstecken zum wichtigsten Vergnügen. Schaukeln hingen von Bäumen, Fahrräder und Roller sammelten sich im Hof, und mehr oder minder pralle Basketbälle rollten überall herum. Jack und ich versuchten, die Kinder von Videospielen und Spielkonsolen fernzuhalten; im Fernsehen guckten wir uns zusammen Filme und alte Serien an. Und immer kehrten wir zu den Büchern zurück. Die Bücherregale quollen über mit der Narnia -Reihe, Lemony Snickets Reihe betrüblicher Ereignisse , sämtlichen Hardy Boys , Zacks irrwitzigen Abenteuern , den Drei Zeitverdrehern , Käpt’n Superslip und natürlich Harry Potter . Jeder Tag endete mit Büchern, und meistens fing er auch mit ihnen an, mit Comics von Bill Amend, Calvin und Hobbes und der illustrierten Geschichte des Universums in mehreren Bänden, die neben der Cornflakesschale und dem Saftglas zum Frühstück gehörten.
Eins meiner liebsten Kinderbücher ist The Seven Silly Eaters von Mary Ann Hoberman. The Seven Silly Eaters handelt von einer Cello spielenden, Bücher lesenden, zerknitterte Blusen tragenden Mama mit birnenförmiger Figur, die ihre Kinder über alles liebt, aber auf äußerst sympathische Weise zunehmend mitgenommen wirkt, als es immer mehr werden. Jahr um Jahr kommt ein Kind dazu, und alle sind heikle Esser. Der robuste, gut aussehende Papa pflanzt Bäume, schleppt Einkäufe herbei und hält sich ansonsten im Hintergrund.
Das selbst gebaute Blockhaus auf einer Insel, so wie es auf den Illustrationen zu sehen ist, mit Katzen, Kindern, Wäschebergen, Musikinstrumenten, Selbstgebasteltem und Büchern, Büchern und noch mehr Büchern, hätte auch unseres sein können. Zugegeben, wir wohnten nicht auf einer Insel, sondern mitten im kleinstädtischen Connecticut in einem stinknormalen Einfamilienhaus. Aber die sieben Kinder waren genau wie meine: begeisterungsfähig, liebevoll und zugleich schrecklich eigensinnig, laut und chaotisch. Auch der Ehemann ähnelte meinem: Gut aussehend und stets hilfsbereit, pflanzte er begeistert Obstbäume, überließ das Pflücken aber lieber seiner Frau. Auch bei uns lag die Wäsche überall im Haus und türmte sich gewaschen und getrocknet zu Bergen auf, die zusammengefaltet werden mussten – auf der Anrichte in der Küche, auf der Treppe, auf dem Couchtisch vor dem Fernseher. Das Cello (beziehungsweise das Klavier, das zu spielen ich seit fünfzehn Jahren lernen will) stand unbenutzt in der Ecke, die Bücher stapelten sich auf und in den Bücherregalen. Seite für Seite, Tag für Tag: glorreiche Zeiten.
Die glorreichen Tage unserer Familie waren vorüber, als meine Schwester starb. Ein Todesfall nach dem anderen innerhalb weniger Monate setzte unseren Söhnen schwer zu. Drei Wochen nach Anne-Maries Tod starb eine der Schwestern meines Mannes. Mary war schon seit Jahren krank, und trotzdem dachte ich, sie würde ewig leben. Sie war eine Kämpferin, ein Tausendsassa, eine Schnäppchenjägerin, eine Donutbäckerin und Traumtänzerin, die ohne Rücksicht auf die Nachbarn einen drei mal drei Meter großen Swimmingpool in ihren vier mal vier Meter kleinen Garten setzte. Als wir uns kennenlernten, warnte sie mich vor ihrer Familie, den Menzens, und sprach ihren Nachnamen so aus, dass er mehr als dubios klang. Doch als ihr klar wurde, dass ich ernsthaft vorhatte, Teil des Menz-Clans zu werden, nahm sie mich mit offenen Armen auf. Ich wurde eine ihrer Schwestern ehrenhalber, und mit ihrem Tod verlor ich meine zweite Schwester. Die Kinder verloren ihre zweite Tante.
Wenige Tage später starb eine beliebte Lehrerin aus der Oberschule. Dann verlor eine Familie aus der
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