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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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konnte, rüde die Katzenmaske vom Gesicht.
    Unter dem Auge hatte Ariel ein riesiges Veilchen, das sich über das halbe Gesicht zog.
    Eine Sekunde lang blickten sie einander an, dann schleuderte T. die Maske weg und ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen.
    »Oh«, seufzte er, »entschuldigen Sie … Ich dachte, Sie wollten sich mit der Maske über mich lustig machen. Ich wusste nichts von Ihrem …«
    »… Hämatom«, sagte Ariel düster. »Warum soll ich mich lustig machen? Meinen Sie, ich bin ein Ungeheuer? Wenn Sie es genau wissen wollen, für mich sind unsere Begegnungen die reinste Erholung. Sie wissen ja, was ich meine – schließlich jammere ich Ihnen immer die Ohren voll. Die Maske habe ich absichtlich aufgesetzt, damit Ihnen mein Anblick nicht die Laune verdirbt. Und Sie glauben, ich mache mich lustig …«
    »Entschuldigen Sie«, wiederholte T. verlegen. »Ich habe das falsch verstanden. Letztes Mal war das Veilchen noch viel kleiner. Es müsste doch längst weg sein. Wieso ist es jetzt so groß?«
    »Ich habe es mit dem Finger bearbeitet. Es sollte größer und dunkler werden. Sehen Sie, hier am Auge ist es fast schwarz.«
    »Aber wozu denn?«
    »Makraudow hat befohlen, die Prügelszenen aufzunehmen. Um gegen Süleyman und seine Kryscha gerichtlich vorzugehen. Die Tschekisten-Kryscha ist schließlich in Moskau und aus London kann man sich gut darüber lustig machen. Wenn sie dich vor der Kamera verprügelt haben, sagt er, kaufen wir die Videoaufzeichnung. Hol dir unbedingt einen Krankenschein. Ich sage, das ist doch schon einen Monat her, aber er sagt, na und? Du sagst einfach, die haben dich so heftig verprügelt, das will gar nicht verheilen. Wir werden das in allen liberalen Zeitungen verbreiten und dann sind Süleyman und seine Kryscha der Abschaum der anständigen Gesellschaft … Aber ehrlich gesagt fürchte ich, die Liberalen haben die gelbe Karte bekommen und sollten aufhören, die Hardliner fertigzumachen, das hat sich einfach so ergeben. Die Parabole ist ja gut und schön, aber Armen Wagitowitsch untersteht auch in London Oberst Urkins.«
    »Furchtbar«, sagte T. mitfühlend. »Warum haben Sie nicht einfach den Revolver genommen und sich an diesem Süleyman gerächt … Oder sind Sie auch für den gewaltlosen Widerstand?«
    »Ach, von wegen! Aber ich bin schließlich kein Unmensch, mir gestattet keiner, auf Menschen zu schießen. Manchmal sind Sie wirklich wie ein Kind. Sie denken immer, ich treibe ein falsches Spiel mit Ihnen. Dabei verrate ich Ihnen alle Geheimnisse.«
    »Nicht alle«, erwiderte T. »Sie sagen nur in Kleinigkeiten die Wahrheit. Aber bei der Hauptsache schweigen Sie.«
    »Was meinen Sie damit?« Ariel machte große Augen.
    »Lügen Sie auch nicht?«
    »Ich schwöre es«, sagte Ariel und legte die Hand an die Brust.
    »Dann sagen Sie mir, wer dieser Solowjow ist!«
    »Solowjow? Was denn, habe ich den etwa erwähnt? Ha-ha-ha … Seinetwegen haben sie Mitjenka beim Fernsehen rausgeschmissen. Im Grunde genommen ist Mitjenka selbst schuld. Habe ich Ihnen nicht erzählt, dass er sich in jeder Episode mit irgendwem oder irgendwas angelegt hat? Mal mit einem Kumpel aus dem Literaturkurs, dann mit den Kritikern, dann mit der globalen Erwärmung, überhaupt mit allem, was ihm gerade in die Quere kam.«
    »Aber was hat Solowjow damit zu tun?«
    »Mitjenka hat mit ihm ein Hühnchen zu rupfen. Die Sendung von diesem Solowjow war schon längst abgesetzt, aber Mitjenka beschloss trotzdem, ihm ein Ei zu legen, er ist nämlich sehr nachtragend. Erinnern Sie sich, Mitjenka hat in der Serie Die alte Isergil mitgearbeitet. Damals wurde gerade die Serie Mandelstams Grab gemacht – Mandelstam war ein Dichter, der hat Verse geschrieben wie ›Die Macht ist widerwärtig wie die Hände eines Barbiers‹ 72 . Keiner weiß, wo er begraben ist, daher auch der Titel der Serie. Im Fernsehen haben sie sich also eine spannende Handlung ausgedacht, die ganze Brigade hat sich Mühe gegeben. Mitjenka blieb nach der Arbeit noch da, ging an der Stelle in das Drehbuch, wo die Alte in Trance fällt und anfängt, als Geist zu reden, und änderte die Schlüsselreplik. Anstatt ›Die Macht ist widerwärtig wie das Glied eines Kellners‹ schrieb er ›Die Macht ist widerwärtig wie die Schläfenlocken von Solowjow‹. So wurde das dann gesendet. Können Sie sich das vorstellen? Nicht nur, dass er einem Offizier gegenüber ausfällig geworden ist, es war auch die ganze Pointe weg. Vorher hat sich der Zuschauer

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