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Tolstois Albtraum - Roman

Tolstois Albtraum - Roman

Titel: Tolstois Albtraum - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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umgestiegen?«
    Ariel wedelte mit seinem Ärmel.
    »Den Shooter vergessen Sie mal.«
    »Warum?«
    »Sie haben Ihre Rolle schon gespielt.«
    »Was heißt das denn? Was hatte ich denn für eine Rolle?«
    »Ein boss fight , zweites Level. Sie tauchen nach der letzten Zombietruppe hinter der umgekippten Tanne auf, als Dostojewski keine Granaten mehr für den Unterlaufgranatwerfer hat. Dostojewski klettert aus dem Schützengraben und hat einen Zusammenstoß mit Ihnen. Dann reißen Sie ihm die Axt weg, das ist eine cutscene – eine eingebaute Animation, falls Sie nicht wissen, was das ist. Dostojewski verliert, und daraufhin stärkt er sich mit Fasten und Beten und fliegt in einem Ballon nach Amerika, das ist auch eine cutscene , aber die ist noch nicht fertig. Im Moment ist es noch völlig unklar, ob sie die noch machen oder nicht. Wenn überhaupt, dann jedenfalls ohne mich – ich bin ab morgen weg.«
    »Wie – Sie sind weg?«
    »Das Erdöl bringt kein Geld mehr. Alle Projekte werden überprüft – Mittel einsparen. Unser Shooter wird bestimmt auf Eis gelegt.«
    »Aber Sie wollten ihn doch an den Westen verkaufen?«
    »Daraus wird auch nichts. Denen hat das Drehbuch nicht gefallen. Besonders von da ab, wo Dostojewski in New York landet. Sie haben uns einen Brief geschrieben, ganz höflich. Wir hätten da eine sehr interessante Idee, sehr dynamisch, aber leider müssten sie uns absagen. In der einen Episode singe ein Chor von Harlemer Juden das Lied ›Schwarzer moron, ich bin nicht dein‹ 70 und in einer anderen Episode komme ein schwarzer Führer mit Namen Ballack Oblahma vor. Ob wir nicht auch fänden, dass das ein gewisser weltanschaulicher Widerspruch wäre? Das würde die Käufer verwirren, hieß es … De facto ist das überhaupt kein Widerspruch, sondern Dialektik. Aber die sind da drüben so furchtbar schreckhaft. Sie reden alle davon, was für freie Menschen sie sind, aber in Wirklichkeit zittern sie bloß um ihre mortgage und ihren Toyota Camry. Wir haben ihnen geschrieben, keine Sorge, es gleicht sich alles wieder aus, am Ende der Episode scheißt Ballack Oblahma den Offshore-Bären 71 eins. Sie daraufhin – das interessiert hier doch längst niemanden mehr. Unsere Kunden interessieren sich schon seit dreißig Jahren nicht mehr für Ihre Menagerie … Kurzum, sie haben den Schwanz eingezogen.«
    »Und was wird jetzt?«
    »Wir kehren zum ursprünglichen Konzept zurück. Wir machen einen Roman.«
    »Wie – zurück zu Süleyman?«
    »Um Gottes willen, nein. Für kein Geld dieser Welt!«
    »Aber ihm gehört doch jetzt Ihr Verlag?«
    »Nicht mehr«, erwiderte Ariel. »Wissen Sie, was General Schmyga Süleyman empfohlen hat? Du hast doch mit Makraudow über den Verlag nichts gesondert unterschrieben, sagt er zu ihm. Also was hast du mit diesem Scheiß am Hut – schmeiß den ganzen Krempel hin, drück das dem früheren Besitzer in die Bilanz. Es gibt ja sowieso nur die Gründungsdokumente, drei Computer und die Schulden. Wozu sollst du den Kredit zurückzahlen – soll Makraudow sich doch in London den Arsch kratzen oder was auch immer er da anstelle eines Kopfes hat.«
    T. kippte ein Glas Kognak hinunter.
    »Und Makraudow?«, fragte er.
    »Was konnte der schon machen? Wir hatten die Verträge damals mit ihm gemacht. Also sind wir zu ihm zurück. Dafür sind jetzt wieder alle mit im Boot. Mitjenka ist auch wieder dabei – ihn haben sie beim Fernsehen rausgeworfen. Wir haben sogar einen sechsten Autor angestellt, einen orthodoxen Realisten – eine Geisteslokomotive vom Typ ›Geist ist geil‹. Und so langsam erholen wir uns von der Krise und rappeln uns wieder auf.«
    »Wozu brauchen Sie den sechsten Autor?«
    »Wir wollen noch ein realistisches Kapitel reindrücken. Aber es ist noch zu früh, darüber zu reden … Tja, Graf, da waren Sie also in der grauen Leere eine Zeit lang der Vater des Raums, und nun – welcome back , wie man so sagt.«
    T. richtete seine Augen auf Ariel und flüsterte:
    »Machen Sie sich lustig? Na schön … Haben Sie Ihren Spaß! Sie sind vielleicht wirklich mein Schöpfer – aber auch Sie haben einen Schöpfer. Und er sieht alles. Er wird nicht zulassen, dass … Es ist alles nicht so, wie Sie sagen … Die Welt kann in Wirklichkeit nicht so sein! Und überhaupt – nehmen Sie endlich diese verdammte Maske ab!!!«
    T. sprach immer lauter und schrie am Schluss fast; gleichzeitig erhob er sich vom Stuhl, beugte sich über den Tisch und riss Ariel, der nicht mehr zurückweichen

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